Istanbul – ein Reisebericht
(Moscheen, Paläste und 13. Kunstbiennale)
Anlass unserer 4 tägigen Gruppenreise war die Eröffnung und der Besuch der 13. Kunstbiennale. Die kleine Reisegruppe widmete dem Besuch der Biennale einen Tag, worüber ich in einem separaten Blog berichte.
Der nachfolgende Reisebericht widmet sich somit unserem Besuchsprogramm und den persönlichen Eindrücken in dieser wunderschönen und spannenden Stadt.
Beim Anflug hatten wir das Glück einer zusätzlichen „Ehrenrunde“ über der Stadt und Umgebung, so dass wir einen ersten Eindruck über die wunderbare Lage der Stadt, ihre Ausmaße, die alten und neuen Viertel, die Moscheen, Paläste und neuen Hochhäuser, das Goldene Horn, die Brücken, den Bosporus und die chaotischen Verkehrsverhältnisse bekamen.
Wir wurden von unserer türkischen Reiseleiterin Sinem, einer modernen und sehr engagierten Begleiterin, empfangen und begrüßt. Auf der Fahrt in die Stadt erfuhren wir, dass Istanbul in den letzten 30 Jahren von 3 Millionen auf vermutlich über 15 Millionen Einwohner angewachsen ist und somit die größte Stadt in Europas ist. Der europäische Teil der Stadt wird durch den „Goldenes Horn“ genannten Meeresarm in eine Alt- und Neustadt geteilt, der Bosporus und das Marmarameer trennen den europäischen und asiatischen Teil der Stadt.
Schon bei dieser ersten Fahrt in die Stadt bestätigte sich, was wir schon aus der Luft sahen – die von Wasser und Meer geprägte Lage Istanbuls ist einzigartig, die Silhouette der Moscheen, Paläste, Minarette und Türme speziell in der Altstadt ist eindrucksvoll und unvergesslich.
Am ersten Nachmittag standen mit der Besichtigung der Hagia Sophia und der benachbarten Zisterne gleich zwei touristische Höhepunkte auf dem Plan.
Die gigantische Kuppel der im 6. Jahrhundert von Kaiser Justitian begonnenen Kirche Hagia Sophia beherrschte zu allen Zeiten das Stadtbild der Altstadt. Die herrliche und weltweit zweitgrößte Kuppel musste im Laufe der Jahrhunderte mit immer neuen Stützmauern vor dem Einsturz bewahrt werden, was dem Gebäude seinen unverwechselbaren baulichen Eindruck gab. Die Geschichte der Hagia Sophia war so bewegt, wie die Geschichte Istanbuls: noch in der frühchristlichen Zeit wurde sie im byzantinischen Bildersturm aller figürlichen Darstellungen und Ausgestaltungen beraubt, war bis ins Mittelalter Sitz christlicher Patriarchen und wurde dann 1453 die wichtigste Moschee der Stadt.
Die Bautätigkeit ging durch die Jahrhunderte unverändert weiter, es wurden 4 Minarette hinzugefügt und der Innenausbau bekam eine osmanische Handschrift. 1935 wurde die Hagia Sophia auf Befehl Atatürks in ein Museum umgewandelt, was für die Nachwelt insofern ein Glücksfall war, als wir heute ein multikulturelles Kunstwerk bewundern können, das in seiner Mischung aus christlichen und islamischen Elementen einzigartig in der Welt ist. Obwohl die riesige Haupthalle eine zum Teil eingerüstete Dauerbaustelle darstellt, ist der Gesamteindruck für den Besucher überwältigend – man muss viel Zeit einplanen, um diesem architektonischen Wunderwerk, seinen Details, Licht- und Schattenspielen, Mosaiken etc. gerecht zu werden.
Ein wunderbarer Abschluss dieses ersten Nachmittags in Istanbul war die Besichtigung der benachbarten Yerebatan Zisterne. Man tauchte in eine unterirdische Wunderwelt ein, in der sich 336 Säulen im Wasser spiegeln, kunstvoll beleuchtet – ursprünglich fasste diese um 565 erbaute Zisterne 80.000 Kubikmeter Wasser. Heute bummeln die Besuchermassen über künstliche Stege, füttern riesige, fette Karpfen und bewundern die steinernen Häupter der Medusa, die früher rätselhafterweise unsichtbar im Wasser lagen.
Der Kontrast zu diesem kunstvollen Nachmittag war dann der abendlich Besuch des Taksim-Platzes, der durch die gewaltsame Vorgehensweise der Staatsmacht gegen die protestierenden Studenten traurige Berühmtheit erlangt hat. Der weitläufige Platz wirkte zunächst völlig normal, bis wir dann auf einer Platzseite die geballte Staatsmacht in Form von Wasserwerfern und einer Hundertschaft martialisch bewaffneter Polizisten entdeckten. Die Soldaten waren genau so jung, wie die überwiegend jugendlichen Besucher des Platzes – das Merkwürdige war, dass sich keine Partei auch nur eines Blickes würdigte. Für die Passanten war die Polizei Luft und die jungen Polizisten beschäftigten sich gelangweilt mit sich selbst. Am nächsten Morgen erfuhren wir, dass es in der Nacht zu gewaltsamen Auseinandersetzungen auf der asiatischen Seite Istanbuls gekommen war, wovon wir nichts mitbekommen hatten. Wir sollten in den nächsten Tagen von unserer Führerin noch einige Informationen über eine tief gespaltene Gesellschaft erhalten.
Den Abend beschlossen wir auf der Dachterrasse unseres Hotels in Beyoglu, dem ehemaligen Rotlichtviertel, das sich inzwischen zum Künstler- und Inviertel entwickelte. Ein traumhaft schöner Blick auf die beleuchteten Sehenswürdigkeiten der sich im goldenen Horn spiegelnden Altstadt erzeugten Vorfreude auf die nächsten Tage.
Das touristische Programm des Folgetages begann zunächst mit einem Bummel durch die Haupteinkaufsstraße der Neustadt, die vom auf dem Hügel gelegenen Taksim-Platz hinunter zum Goldenen Horn führt. Hier waren wir tatsächlich in einer europäischen Weltmetropole unterwegs, sowohl was das Straßenbild, als auch das Warenangebot betraf. Modern und modisch gekleidete Menschen gingen ihrer Arbeit nach oder bummelten wie wir durch die morgendliche Stadt – wir sahen weniger Kopftücher, als in Berlin oder Stuttgart. Dieses Bild einer westlich orientierten, modernen und attraktiven Stadt sollte uns während des ganzen Aufenthalts begleiten. Es sollte aber auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den wuchernden Außenbezirken der Stadt sich überwiegend die ehemals ländliche, konservative Bevölkerung angesiedelt hat, die der heutigen Regierung zu ihrer Mehrheit verhalf.
Die Proteste am Taksimplatz richteten sich einerseits gegen die geplante Bautätigkeit auf einem benachbarten Park, aber gleichzeitig auch gegen eine ungebremste Bautätigkeit im ganzen alten Teil der Stadt, die keine Rücksicht auf die alte, gewachsene Bausubstanz nimmt, z.B. die traditionellen Holzhäuser. Stattdessen bauen mit der Regierung befreundete Unternehmen an attraktiven Plätzen am Wasser Luxuswohnungen für den begüterten Teil der Bevölkerung – eine Gentrifizierung ist die Folge, wie wir sie auch aus Berlin kennen.
Die Proteste der gut ausgebildeten und westlich orientierten Jugend in Istanbul und den übrigen Großstädten des Landes richten sich andererseits auch gegen die schleichende Islamisierung in der Gesellschaft, die die gegenwärtige Regierung betreibt. Sinem nannte uns hierfür viele Beispiele, die das Bild einer tief gespaltenen Nation ergaben, z.B. das Verbot von Intimitäten in der Öffentlichkeit. Dieses Verbot provoziert natürlich bei der Jugend das Gegenteil, wie wir überall beobachten konnten. Die Protestformen sind durchaus kreativ, z.B. werden in jeder Nacht eine oder mehrere der vielen Treppen in den Farben der Schwulenbewegung angemalt.
Zu unserem touristischen Programm gehörte auch eine Fahrt zur Sommerresidenz der deutschen Botschaft am Bosporus. Nach einer reizvollen Fahrt entlang der europäischen Seite des Bosporus, wurden wir in einem prachtvollen Anwesen, mit 18 Hektar Waldbestand direkt über dem Meer, empfangen. Dieses Anwesen wurde von der damaligen türkischen Regierung dem befreundeten deutschen Kaiser geschenkt. Es beherbergt heute die deutsche Kulturakademie „Villa Tarabya“, in der sich bis zu 10 Stipendiaten aller Kunstrichtungen aufhalten, die mit monatlich 2.500.-€ für 3 -12 Monate unterstützt werden. Eindrucksvoll war auch der Besuch des deutschen Soldatenfriedhof aus dem ersten und zweiten Weltkrieg, der innerhalb des friedvollen Geländes mit wunderbarem Blick auf den Bosporus an die blutigen Dardanellen-Schlachten erinnert.
Auf dem Weg zurück zur Innenstadt fuhren wir durch ein riesiges Neubaugebiet mit einer Ansammlung von Hochhäusern, die zukünftig auch das Bild des modernen Istanbul auf der Neustadtseite prägen werden. Die teuren Luxuswohnungen mit Meerblick scheinen bei einer internationalen Klientel sehr gefragt zu sein, wofür auch Luxuskaufhäuser und viele Luxusmarken, die sich hier ansiedeln, sprechen.
Den Abend begrüßten wir in einem Fischrestaurant im Freien im unteren Stockwerk der Galatabrücke, die die Alt- und Neustadt verbindet. Von dort die hereinbrechende Dunkelheit und zunehmende Beleuchtung der alten Stadtviertel und historischen Gebäude zu beobachten, war ein stimmungsvolles Erlebnis – selbst wenn der kulinarische Genuss zu wünschen übrig ließ.
Wir beendeten den Abend an einer Bar im Beyogluviertel, umgeben von einem internationalen, jungen, modischen Publikum, das uns sehr an Berlin Mitte erinnerte.
Der nächste Morgen begann mit dem ausgiebigen Besuch des ägyptischen Basars. Der Basar ist berühmt für seine Gewürze und Süßigkeiten, die in farbenfrohen und fantasievollen Präsentationen tatsächlich alle Sinne des Besuchers ansprechen. Daneben findet man dort im Freien oder in engen, überdachten Gängen Textilien, Haushaltsgeräte, Möbel und einen großen Markt für Gemüse- und Pflanzenfreunde. Hier sollten sich unsere Baumärkte mal umsehen und sich Anregungen holen, wie verführerisch eine Warenpräsentation auch bei Gemüse- und Blumensaatgut sein kann. Natürlich durfte auch ein Besuch bei einem Spezialisten für „gefakte“ Edeltaschen nicht fehlen – in einem konspirativen Hinterzimmer wurden die mehr oder weniger kunstvoll gefälschten Gucci- und Louis Vuittontaschen stilvoll präsentiert.
Das touristische Programm wurde fortgesetzt mit dem Besuch der berühmten und prachtvollen Blauen Moschee und der Süleymaniye Moschee, die mir in ihrer architektonischen Klarheit am besten gefiel. Ich erspare mir weitere Erläuterungen, die der Leser in jedem Reiseführer nachlesen kann.
Der Sonntag, unser letzter Tag, brachte mit dem Besuch des Topkapi-Palastes noch einmal eine Steigerung des Eintauchens in frühere orientalische Prachtentfaltung. Für den auf der Landspitze , die das Goldene Horn und das Maramameer trennt, wunderbar gelegenen Palast sollte man sich erneut viel Zeit nehmen. Über viele Jahrhunderte wurde dieser Palast von jedem Sultan um- und ausgebaut, so dass in einer Garten- und Hoflandschaft eine unübersichtliche Ansammlung von Palästen, Sommerhäusern, Nutzbauten, Pavillons und nicht zuletzt ein riesiger Harem entstanden. Jedes Gebäude hat seine eigenen Geschichten und meist auch seinen eigenen Stil – ein steingewordenes „1000 und eine Nacht“! Besonders erwähnenswert sind natürlich die Schatzkammern, in denen leider fotografieren verboten ist. Insofern war es für mich eine sportliche Herausforderung, den einen oder anderen verbotenen Schnappschuss anzubringen. Die Ausbeute kann der Leser in der Fotogalerie bewundern – vor allem den berühmten Topkapi-Diamanten, der im Film von Peter Ustinov spektakulär gestohlen wurde. Ein bisschen war ich somit auf seinen Spuren!
Zu jedem Istanbul-Besuch gehört natürlich noch eine Bootsfahrt auf dem Bosporus – damit beendeten wir auch unsere kurze Städtereise. Die Hinfahrt auf der europäischen Seite zeigte nochmal, wo und wie die Reichen und Mächtigen wohnten und heute noch wohnen. Die asiatische Seite ist nicht minder schön und spektakulär, aber auch heute noch weniger bebaut und damit auch grüner, als das europäische Gegenüber. Unvergessen bleiben auch die Brücken über den Bosporus und der Blick aus der Ferne auf die in der Sonne glänzende, historische Silhouette der Altstadt. Hier sind sie alle nochmal auf einen Blick zu bewundern: der Topkapi-Palast, die Hagia Sofia, die Blaue und die Süleymaniye-Moschee, bewacht von ihren vielen Minaretten und Türmen.
Fazit
Istanbul ist eine der spannendsten und faszinierendsten Städte Europas, am Brennpunkt von Orient und Okzident, mit grandioser Geschichte und Kultur und einer traumhaften Lage am Meer. Die Gegensätze zwischen konservativen Kräften und moderner, westlich orientierter Stadtbevölkerung sind unübersehbar – hier scheinen Konflikte unausweichlich. Es bleibt abzuwarten, wie sich die innenpolitische Lage entwickelt – es ist der Stadt und dem Land zu wünschen, dass Atatürks Erben einen friedlichen Weg des Zusammenlebens finden.
In jedem Fall ist die Stadt mehr als nur eine Kurzreise wert, es gibt noch viel zu entdecken.
Klaus Weidner, September 2013