ein nostalgischer Bummel durch die mittelalterliche Altstadt von Nürnberg ( 2./3.Juni 2016)
Vor genau 50 Jahren habe ich an der Friedrich Alexander Universität in Nürnberg zur großen Erleichterung meiner damaligen Ehefrau Ursula mein Examen zum Diplom Sozialwirt bestanden.
Wir haben in Nürnberg eine fröhliche und arbeitsteilige Studentenehe geführt – sie arbeitete und sorgte weitgehend für den Unterhalt und ich „studierte“ und genoss mit ihr und meinen Kumpels das Studentenleben. Dass ich dann 1966 sie und vor allem mich selbst mit einem Prädikatsexamen überraschen konnte, sorgte für allgemeines Erstaunen, zumal meine sportlichen Ambitionen immer größer waren, als meine akademischen.
Unsere Zeit in Nürnberg ab 1962 fiel in die spannende Phase des Wiederaufbaus der weitgehend zerstörten Altstadt – erfreulicherweise nahezu naturgetreu nach den mittelalterlichen Vorlagen. Schon damals empfanden wir die aus Ruinen wieder auferstanden, mittelalterliche, heimelige Altstadt als ein architektonisches und bauliches Wunder der Nachkriegszeit.
Pünktlich zum Examensjubiläum überraschte mich Ursula, meine Ex von damals, mit dem Wunsch, mit mir und ihrem heutigen Ehemann Lothar in Nürnberg die Goldene Hochzeit zu feiern.Er steuerte bis heute 38 Ehejahre mit ihr bei und ich die ersten 12, was sich tatsächlich zu den für eine Goldene Hochzeit notendigen 50 Ehejahren summierte.
Wie man aus diesem verrückten, aber irgendwie auch logischen Wunsch entnehmen kann, war unsere Trennung sehr kameradschaftlich und fair (es gab ja zum Glück auch wenig zu verteilen und sie hat sich mit Lothar definitiv verbessert), so dass Ursula und ich und unsere jeweiligen neuen Partner seit vielen Jahren sehr freundschaftlich verbunden sind, wie eine Art Großfamilie!
Stilgerecht wohnten wir im Hotel Dürer direkt unterhalb der Burg und feierten unsere sehr spezielle Goldene Hochzeit zu Viert in Nürnbergs bestem Restaurant, dem „Essigbrätlein“, das zu Recht mit zwei Michelinsternen dekoriert ist. Ein kreatives 7 Gang Menu, zubereitet aus regionalen Zutaten, sorgte nicht nur optisch, sondern auch geschmacklich für sensationelle Ah`s und Oh`s – und wurde dem Anlass voll und ganz gerecht.
Für den folgenden Tag hatten wir uns einen ausgedehnten und nostalgischen Bummel durch die wunderschöne, mittelalterliche Altstadt von Nürnberg vorgenommen. Das anfängliche Regenwetter konnte meinem freudigen Wiedersehen mit vielen Erinnerungen aus unserer Jugendzeit nichts anhaben.
Unser Stadtbummel begann unterhalb der Burg in der Albrecht Dürerstr., vorbei am Restaurant Dürer – unsere studentischen Skatkneipe hat sich inzwischen leider in eine Touristenfalle verwandelt – was aber die Erinnerungen an lange, verrauchte Abende mit viel Spaß und wenig Geld nicht trüben konnte. Der Weg führte uns den Burgberg hinunter an die Pegnitz, wo das malerische Weinstadel weitere Erinnerungen weckte – in der früheren Mensa wurden wir damals mit fränkischen Köstlichkeiten verwöhnt – Schäufele mit fränkischen Klößen, Stadtwurst mit Musik, die Nürnberger Rostbratwürstchen mit Kraut etc. sind unvergesslich.
An dieser für mich malerischsten Ecke von Nürnberg, mit der alten Holzbrücke über die beiden Pegnitzarme, früher als Henkersteg genutzt, beginnt der „mittelalterliche“ Spaziergang durch die engen, wunderbar restaurierten Gassen, mit vielen kleinen Geschäften, Galerien und Kneipen. Hier ist man im Herzen der architektonischen, handwerklichen und künstlerischen Nürnberger Blütezeit des 15. und 16. Jahrhunderts. In den wunderbaren gotischen Kirchen St. Sebaldus, St. Lorenz und der Frauenkirche kann man die Kunstfertigkeit der alten Meister bewundern – am bekanntesten ist der englische Gruß von Veit Stoß in der Lorenzkirche.
Wir verließen für einen Augenblick diesen alten Teil von Nürnberg und wechselten in die Karolinenstr., wo heute das alltägliche Geschäftsleben pulsiert. Beim Platzhirsch, dem Bekleidungshaus Wöhrl, habe ich 1968 meine berufliche Karriere begonnen und hatte viele Jahre später das Vergnügen, im Aufsichtsrat der Wöhrl AG zu sitzen. Ein paar Schritte weiter macht inzwischen eine weitere meiner früheren Firmen, das moderne Breuninger Bekleidungshaus, dem Platzhirsch Wöhrl Konkurrenz. Aber „da Konkurrenz das Geschäft belebt“, haben sich zwischenzeitlich wohl Kunden und beide Firmen aneinander gewöhnt. Ich fand es witzig, dass sich ausgerechnet hier in Nürnberg drei Stationen meines beruflichen Lebens treffen – vom Studium über den ersten und letzten Job in der Geschäftsleitung von bekannten Handelsunternehmen.
Wir ließen den „banalen“ Kommerz schnell hinter uns, besuchten zunächst die wunderbare Lorenzkirche und erfreuten uns danach an dem geschäftigen Markttreiben auf dem Nürnberger Hauptmarkt – wo uns und viele Schaulustige um 12.00 Uhr mittags das berühmte Glockenspiel und Männleinlaufen der Frauenkirche erwartete. Der Geruch von Rostbratwürsten, Lebkuchen und Gewürzen lag in der Luft, bevor wir dann in Richtung Heiliggeist-Spital wanderten, wo wir vor 50 Jahren (ab und zu) Rechtsvorlesungen hörten und beiläufig Hans Sachs auf seinem Denkmalssockel die Ehre erwiesen. Der Besuch des Wahrzeichens der Stadt, der imposanten Kaiserburg, durfte natürlich nicht fehlen. Als wir mühsam den Burgberg erklommen hatten, wurden wir von den ersten Sonnenstrahlen dieses bisher grauen Tages begrüßt. Der grandiose Blick von der Freiung und dem Sinwellturm auf die Altstadt entschädigte uns für alle Mühen. Das gewaltige Gelände der auch heute noch äußerst wehrhaften Nürnberger Burg vereint Bauten aus mehreren mittelalterlichen Herrscher-Perioden. Sie wurde seit dem Mittelalter von den diversen Feinden nie erobert – dieses Privileg gebührt der US Army 1945!
Die notwendige Zeit für den Besuch des Museums und Kaiserzimmers wurde spontan und erschöpft dem Besuch des berühmten Restaurant Schlenkerle, mit seinen fränkischen Köstlichkeiten und dem Rauchbier geopfert – im Schatten der Burg, gegenüber dem Dürerhaus.
Es sei nicht verschwiegen, dass Nürnberg über großartige Museen verfügt – allen voran das Germanische Nationalmuseum. Wir entschieden uns allerdings für den Besuch des NEUEN MUSEUMS, das sich als architektonisches Schmuckstück direkt an die trutzige Stadtmauer beim Bahnhof anlehnt und einen gewollten Kontrast zwischen ALT und NEU oder SCHWER und LEICHT bildet. Die diversen Ausstellungen und Workshops, die moderner Kunst und Design gewidmet waren, rundeten unseren eintägigen Bummel durch Nürnberg „kunstvoll“ ab.
Es sei mir verziehen, dass ich in meinem Bericht auf vieles Sehenswerte und Historische nicht eingegangen bin – im Vordergrund stand das nostalgische Wiedererkennen und die Erinnerung an eine unbeschwerte Studienzeit und erste berufliche Schritte – voller Begeisterung und ungebremstem Idealismus.
Dass ich zu Zeiten der Notstandsgesetze in den 60 ger Jahren auf den Nürnberger Straßenbahngleisen saß und mit allen anderen zusammen schrie:“ Wer hat uns verraten, Sozialdemokraten?“ und daraufhin aus der SPD hinausgeworfen wurde, hätte ich beim vorabendlichen Treffen unbedingt meinem früheren Chef, H.R. Wöhrl, erzählen müssen. Das hätte ihm gefallen, wo er mich doch immer für einen verkappten Sozialisten gehalten hat!
Esslingen, 21. Juli 2016 Klaus Weidner