St. Petersburg im Mai 2012 – ein Reisebericht
Wir haben uns rund 4 Tage Zeit genommen, um die wohl am westlichsten geprägte russische Metropole erneut zu entdecken, ohne dabei unsere geschäftlichen Interessen zu vernachlässigen. Das würde zwar einen zeitlichen Spagat ergeben, aber darauf wollten wir es ankommen lassen.
Wir wohnten sehr zentral im Hotel Kempinski am Fluss Moika und in unmittelbarer Nähe zum Schlossplatz – was sich noch als äußerst vorteilshaft herausstellen sollte.
Da unser mit dem Reisebüro vereinbarter Transfer vom Flughafen zum Hotel prompt nicht funktionierte, wandten wir uns am Flughafen an eine offizielle Taxivermittlung und vereinbarten eine Taxifahrt zum Hotel für 900 Rubel – reibungslos und wesentlich preiswerter als das Transferangebot der TUI.
Im Hotel erwartete uns Svetlana, die uns auch schon beim letzten Besuch betreut hatte. Svetlana war 40 Jahre Deutschlehrerin, sie ist überzeugte St. Petersburgerin, gebildet, weltoffen und zum Nutzen ihrer Kunden ein sparsames Organisationstalent.
Beim abendlichen Spaziergang durch das Stadtzentrum und beim Abendessen im von ihr empfohlenen Künstlerlokal besprachen wir das geschäftliche und private Programm der nächsten 3 Tage.
Für Montagvormittag empfahl sie den Besuch des russischen Museums, nachmittags einen Bummel mit ihr durch die Innenstadt mit dem Besuch der 3 dominierenden Kirchen und der aktuellen Galeristenszene.
Für Dienstag wurde die Fahrt per Schiff zum Sommerschloss Peter des Großen, dem Peterhof, geplant und am Nachmittag ein Spaziergang zu den Gräbern berühmter Musiker und ein Besuch im benachbarten Kloster.
Der Mittwoch sollte z.T. dem Besuch der kaiserlichen Residenz im Ort Puschkin und der dortigen Besichtigung des berühmten Bernsteinzimmers gewidmet sein.
Der verbleibende Donnerstag wurde für die Kunstschätze in der weltberühmten Ermitage reserviert.
Svetlana hatte auch gleich noch eine Überraschung parat: da Mittwoch, der 9.5., ein Nationalfeiertag ist, an dem zum 67. Mal der Sieg über die Nazis gefeiert wird, nehmen die meisten Russen von Montag bis Mittwoch frei, zumal auch die Kinder schulfrei haben. Insofern war zu erwarten, dass uns in den folgenden 3 Tagen viele einheimische Besucher aus der Umgebung, die die Brückentage für einen Stadtbesuch nutzten wollten, begegnen würden.
Der erste Eindruck beim abendlichen Bummel über den Schlossplatz und den Newski Prospekt, die berühmte Hauptstraße St. Petersburgs, war überaus positiv. Im weichen, abendlichen Licht der sich abzeichnenden weißen Nächte zeigte sich die Stadt von ihrer schönsten Seite – die prachtvollen Gebäude im barock-klassizistischen Zentrum, die fröhlichen Menschen und natürlich auch die vielen hübschen Frauen in atemberaubend hohen Stöckelschuhen verbreiteten einen westeuropäischen Charme und erzeugten viel Vorfreude auf die nächsten Tage.
Von Svetlana erfuhren wir, dass St. Petersburg mit über 5 Millionen Einwohnern inzwischen nicht nur die 5. größte Stadt Europas ist, sondern mit über 500.000 Studenten auch eine sehr junge Stadt. 1703 schuf Peter der Große seine neue Hauptstadt nach westlichem Vorbild. So erinnern die vielen, die Stadt durchquerenden Kanäle an Venedig und Schloß Peterhof an Versailles.
Der Besuch des russischen Museums am nächsten Morgen war ein wunderbarer Beginn unserer Besichtigungstour. Die prachtvollen Räume in den ehemaligen Palästen vermittelten einen ersten Eindruck vom Prunk des Zarenreichs. Das Museum beherbergt eine der größten Sammlungen russischer Kunst aus allen Epochen. Bei dieser Vielfalt konzentrierten wir uns auf die modernere russische Kunst im s.g. Benois Wing und wurden durch wunderbare Bilder von Malevich, Lebedew, Filonow etc. belohnt (siehe hierzu auch www.art-fashion-consulting.com ).
Der Nachmittag und Abend waren geprägt von der Besichtigung der mächtigen und prunkvollen Isaakkathedrale, der filigraneren Kasaner Kathedrale und der Christi Auferstehungskirche, die äußerlich in ihrer Buntheit und Verspieltheit ein bisschen an „Disneyland“ erinnert Jede dieser Kirchen ist in Stil und Ausführung eindrucksvoll und einzigartig. Ich verzichte auf die Beschreibung der weiteren Einzelheiten, die der Leser in den normalen Reiseführern nachlesen kann. Interessant war für uns die Form der Frömmigkeit in diesen orthodoxen Kirchen. Die Gläubigen waren ständig in Bewegung, spendeten Kerzen, unterhielten sich untereinander, verneigten sich vor einem Heiligtum, küssten eine Ikone, verharrten für einen Augenblick im Gebet und mischten sich dann wieder unter die wogende Menge. Von pietistischer Strenge und Disziplin war hier nichts zu spüren, es gab keine Sitzplätze, jeder Besucher schien einen eigenen Weg und eigene Rituale zu haben.
Bei diesem sakralen Rundgang kreuzte man immer wieder den Newski-Prospekt, die Hauptmagistrale und zentrale Einkaufsstraße von St. Petersburg. Hier konzentrieren sich das Geschäftsleben, der Handel, die Restaurants, Kirchen, Hotels, Paläste, Theater, Konzertsäle und Banken. Eine weitere Vielfalt entsteht durch die Flüsse und Kanäle, die den Prospekt kreuzen und von kunstvollen, malerischen Brücken überquert werden. Der Newski-Prospekt atmet an jeder Ecke Geschichte, er ist auch eine Straße der Glaubenstoleranzen, da sich hier viele Religionen mit ihren Kirchen friedlich trafen. Wunderbare klassizistische Bauten oder Jugendstilhäuser, wie z.B. die ehemalige Singer Nähmaschinenfabrik, beherbergen heute Buchläden, exklusive Modegeschäfte, Banken oder Hotels. Viele traditionelle Restaurants und Cafes wichen ins Untergeschoss aus, wo die Mieten noch bezahlbar sind, während sich in den oberen Etagen immer mehr exklusive, internationale Marken ansiedelten. Der Newski-Prospekt wird auf der einen Seite vom goldenen Turm der Admiralität begrenzt und auf der anderen Seite nach ca. 5 Kilometern durch das Alexander Newski Kloster. Dieses Kloster ist architektonisch ein Muss für jeden Besucher und stellt gleichzeitig ein spirituelles Zentrum für die gläubige Bevölkerung dar. Auf den Friedhöfen des Klosters sind viele Persönlichkeiten der russischen Geschichte und Kultur beerdigt. Ehrfürchtig standen wir an den Grabmalen von Dostojewski, Tschaikowski, Rimski- Korsakow und vieler anderer ruhmreicher Persönlichkeiten der russischen Kulturgeschichte.
Am nächsten Vormittag fuhren wir mit dem Tragflügelboot zum Peterhof. Zar Peter der Große ließ ab 1705 hier eine einzigartige Schloss- und Parklandschaft erbauen, die tatsächlich in ihrer eleganten Pracht und Schönheit an Versailles erinnert.
An diesem Vortag des Nationalfeiertags waren unzählige Familien mit Kindern zum Peterhof gekommen, um hier den ganzen Tag zu verbringen. Wir ersparten uns deshalb die Schlossbesichtigung in der Menge, sondern bummelten lustvoll durch die Gartenanlagen, die immer wieder mit kunstvollen Fontänen, Kaskaden, Brunnen, Wasserfällen und Kanälen versehen sind, die dem Ganzen etwas elegant Spielerisches vermitteln. Leider waren wir jahreszeitlich noch etwas zu früh hier, die Bäume waren noch grau, statt grün – trotzdem waren wir verzaubert von diesem wunderbaren Ensemble aus prachtvollen, vergoldeten Gebäuden und Figuren, umspielt von vielfältigsten Wasserspielen, in denen sich der blaue Frühlingshimmel spiegelte. Bei der ca. 45 minütigen Rückfahrt mit dem Schiff bekam man weitere schöne Ausblicke auf die Stadt und endete schließlich am Ausgangspunkt, am Fluss unterhalb der Ermitage. Ein weiterer Bummel über den Schlossplatz und den Newski-Prospekt war unvermeidlich, man entdeckte immer wieder neue Details an den Fassaden, in den Hinterhöfen, an den Gebäuden entlang der Kanäle, hier eine Gedenktafel für eine Tänzerin oder einen Musiker, dort ein Bild von Puschkin in seinem Stammcafe etc. Eine spontane Rast in einem der vielen kleinen Restaurants oder Cafes am Rande half den strapazierten Füssen, sich wieder zu erholen.
St. Petersburg muss man sich „erlaufen“, Busse und Metro sind zwar sehr preiswert, aber gutes Schuhwerk ist unabdingbar!
Am Abend besorgte uns Svetlana Karten für einen russischen Abend in einem großen Konzertsaal – die russische Folkloremusik und Tänze waren sehr malerisch, die Stimmung leider weniger, da das Publikum weitestgehend aus meist älteren Passagieren der vielen Kreuzfahrtschiffe stammte – lovely darling, isn`t it?
Beim Rückweg zum Hotel erlebten wir dann eine Überraschung eigener Art: die Straßen um unser Hotel waren komplett abgesperrt und überfüllt mit martialischem Kriegsgerät: Raketenwerfer, Lastwagen mit Geschützen, Jeeps, Panzer, Amphibienfahrzeuge etc. waren aufgefahren und warteten auf die morgige Parade zum Nationalfeiertag!
Am nächsten Morgen füllten sich dann die Straßen mit den zu den Fahrzeugen gehörenden Soldaten und Punkt 10.00 Uhr setzte sich der Tross in Richtung Schlossplatz in Bewegung, wo große Tribünen aufgebaut waren und die lokalen Politiker und Militärs die Parade mit Pauken und Trompeten abnahmen – unglaublich, 67 Jahre nach Kriegsende! Das Ganze wird aber verständlicher, wenn man sich erinnert, dass während der deutschen Belagerung von St. Petersburg über eine Million Menschen in der Stadt verhungerten oder bei Kämpfen ums Leben kamen.
Insofern war es interessant, zu beobachten, dass die Bevölkerung nach dem martialischen, offiziellen Teil sehr schnell zur Tagesordnung überging und überall auf den Straßen und Plätzen ein fröhliches Volksfest feierte. Die wenigen noch lebenden, mit Orden übersäten Veteranen von damals, wurden allerdings von der Jugend überall sehr verehrt, bekamen rote Blumen und man ließ sich mit ihnen fotografieren.
In der St. Petersburg Times habe ich am nächsten Morgen ein Interview mit einem Veteranen gelesen: „ Vor 10 Jahren waren wir noch mindestens 70 Veteranen, heute nur noch 17.“ Der 85 Jährige sagte auch, dass „ trotz des Traumas von damals, der süße Geruch des Sieges in all den Jahren erhalten blieb“ und „dass die Soldaten „Hitler kaputt“ gesungen hätten, als sie in Königsberg das Denkmal von Imanuel Kant passierten, dem ein Arm fehlte“.
Auf diesem Hintergrund war ein Veteran mit seiner Tochter, die auch in Uniform war, außerordentlich freundlich zu uns, versuchte sogar ein paar Brocken Deutsch und ließ sich bereitwillig und gutmütig lachend mit uns fotografieren.
Wir nutzten den weiteren Verlauf des Tages zu einem Ausflug in die Umgebung und zwar zur Sommerresidenz der Zaren in Puschkin. Auf der Busfahrt dorthin hatten wir das einzige unangenehme Erlebnis mit betrunkenen Gastarbeitern aus Usbekistan, die uns wohl ziemlich unflätig beschimpften, was den übrigen Businsassen sichtlich peinlich war. Svetlana übersetzte nicht, versuchte aber die deprimierende Situation dieser ungebildeten Gastarbeiter zu erklären.
Das blaue Schloss und die es umgebenden Gärten wurden von der Tochter Peters des Großen und später von Katharina II. zu einem grandiosen Ensemble mit üppig dekorierter Fassade, einer Paradetreppe und einer durchgehenden Saalflucht mit vergoldetem Schnitzwerk, Spiegeln und Bernsteindekor ausgebaut, sowie um den Kirchen- und Subow-Flügel ergänzt. In diesem Palast befindet sich auch das im Krieg spurlos verschwundene und vor einigen Jahren nachgebaute, berühmte Bernsteinzimmer. Bei allem Respekt – es hat uns nicht gefallen, es sah zu neu und irgendwie „neureich“ aus, aber das ist Geschmackssache. Der Katharinenpark dagegen mit seinen diversen Pavillons, kleinen Brücken und Skulpturen, den Spiegelungen der alten Bäume im See und den schönen Ausblicken auf den Katharinenpalast hat uns sehr gut gefallen.
Als wir nach St. Petersburg zurückkamen, waren die Straßen und Plätze noch immer voll von fröhlich feiernden Menschen, die auf den Plätzen tanzten oder sich mit Oldtimern fotografieren ließen oder Kunststücke am Reck versuchten oder gegen Schachmeister im Simultanschach antraten und sich an ähnlich harmlosen und fast ein bisschen altmodisch wirkenden Vergnügungen erfreuten. Auch hier hatte Svetlana eine plausible Erklärung: es herrscht nach wie vor eine große Wohnungsnot, so dass sich die Menschen mit kleinsten Wohnungen begnügen müssen, viele auch noch in den öden Sattelitenstädten – da sind solche Festtage eine willkommene Abwechslung!
Der Nationalfeiertag endete mit einem Feuerwerk, das wir uns von der Dachterrasse des Hotel Kempinski ansahen. Um 22.00 Uhr war es zwar noch taghell, aber das störte die Feuerwerker in keiner Weise. Das Publikum hörte es zwar krachen und sah viel Rauch, aber ein farbenprächtiges Feuerwerk war bei der Helligkeit der bevorstehenden weißen Nächte kaum zu sehen – man hätte eher kriegerische Gedanken bekommen können, was ja zu diesem Tag gepasst hätte.
Unser letzter Tag in St. Petersburg war ausschließlich den Kunstschätzen der Ermitage gewidmet. Die Ermitage ist eines der größten Museen der Welt und nimmt mehrere miteinander verbundene Gebäude am Schlossufer der Neva ein. Am bekanntesten ist der Winterpalast, der 1754 -1762 gebaut wurde. Der Museumsfundus besteht aus über drei Millionen Exponaten, die in ca. 400 Sälen ausgestellt sind. Wir haben uns auch hier bewusst beschränkt auf die italienische Kunst zur Zeit Leornado da Vincis und auf die französische Kunst des 19. Und 20. Jahrhunderts. Über diesen großen Kunstgenuss berichte ich separat auf meiner Website www.art-fashion-consulting.com
Beim Bummel durch die diversen Paläste der Ermitage bekommt man natürlich zwangsläufig einen erneut überwältigenden Eindruck vom prachtvollen Leben der Zarenfamilien, wobei die „sparsame“ deutsche Katharina II. immerhin anordnete, dass der Winterpalast außen mit Farbe, statt mit Gold geschmückt werden sollte.
Fazit:
St. Petersburg hat sich in den 7 Jahren, seit unserem letzten Besuch, prächtig herausgeputzt. Die Stadt wirkt jung und geschäftig, sie erinnert dabei ein bisschen an die Aufbruchstimmung in Berlin nach der Wende.
Dank unserer exzellenten Reisebegleiterin Svetlana und ihrem Mann Wladimir konnten wir die vorhandene Zeit optimal nutzen und auch manchen Blick hinter die (touristischen) Kulissen werfen. Wir haben aufgrund ihrer Empfehlungen in kleinen, unscheinbaren Restaurants hervorragend gegessen und viele interessante Gespräche über die aktuelle Kunstszene und mögliche Kooperationen auf diversen Geschäftsfeldern geführt.
Danke Svetlana und Wladimir, wir kommen wieder!
Esslingen, 17.5.2012 Klaus Weidner