Begegnungen in Wien – ein Reisebericht
Eine strahlende Sonne an einem wolkenlos blauen Himmel empfängt uns, als Barbara und ich morgens den Flughafen Wien in Richtung Innenstadt verlassen – man nennt es hier wohl Kaiserwetter.
Die Morgensonne lässt die leicht mit Schnee bedeckten Gebäude und Strassen in hellem Glanz erstrahlen. Ich hatte Wien grau und als in die Jahre gekommene Schönheit in Erinnerung, statt dessen sehen wir eine Stadt in neuem Gewande, helle freundliche Fassaden, alte Pracht in neuem Glanz, eine Mischung moderner und altehrwürdiger Gebäude – freundlicher hätte der erste Eindruck einer offensichtlich runderneuerten Stadt nicht sein können.
Unser Hotel Meridien, gerade neu eröffnet und sehr zentral am Opernring gelegen, übertrifft alle Erwartungen. Es überrascht mit gewagtem Design und extravaganten Farben und Formen, einem sehr freundlichen Empfang und der Tatsache, dass wir schon am frühen Morgen unser Zimmer beziehen können. In dem grossen, hohen, hellen Zimmer fühlen wir uns auf Anhieb wohl, noble und ungewöhnliche Details bringen uns zum Staunen: eine kostenlos nutzbare Minibar, riesige Betten von Ligne Roset, ein Flachbildschirm im Kinoformat, ein tolles Bad mit Massagestrahlen, das hinter Spiegeln verborgene Bügelbrett, eine raffinierte, indirekte Beleuchtung und ein toller Blick auf das Altstadtzentrum – Luxus pur.
Der erste Spaziergang führt durch den gegenüberliegenden Hofgarten, mit Blick auf die prachtvolle und majestätische Hofburg, direkt ins alte Zentrum der Stadt. Barock, Renaissance, Gründerzeit, Jugendstil und Moderne wechseln sich ab, das Auge hat Mühe, sich an diese in der kalten Morgensonne strahlende Vielfalt und Pracht zu gewöhnen.
Bald verlassen wir den breiten Einkaufsboulevard der Kärntnerstrasse mit seinem genormten und austauschbaren Angebot der Filialisten und tauchen ein in die verwinkelten, schmalen Gassen, wo sich noch kleine, originelle Läden, Apotheken und Restaurants finden, die sich erfolgreich gegen die langweilige und austauschbare „Soße“ des billigen und genormten Angebots einer jeden Großstadt behaupten. Die Menschen sind vermummt und bewegen sich vermutlich schneller als üblich, um der Kälte zu entkommen.
Barbara sucht und findet die alte Hofapotheke, die ihren Vorfahren gehörte – die Einrichtung ist noch geblieben, die Apotheke ist leider nur noch der Eingang zum Lippizanermuseum. Nostalgie…
Über den vornehmen Graben, wo Luxus die Masse verdrängt, bummeln wir in Richtung Stephansdom, der uns mit seinen Türmen und dem bunten Dach freundlich begrüsst und uns Orientierung und Erinnerung an frühere Besuche bietet.
Das Kaufhaus Steffl erinnert mich an meine früheren Bemühungen, Breuninger in Wien anzusiedeln. Die Begegnung mit dem heutigen Kaufhaus ist enttäuschend, ein liebloses Durcheinander von Klasse und Masse, lustloses Personal, ein Schnäppchenparadies für Einheimische und Touristen – das hätten wir damals besser gemacht!
Zu Mittag treffen wir Elfriede Sekyra, die mich vor 8 Jahren bei meinen Expansionsbemühungen für Breuninger sowohl in Wien, als auch in Osteuropa tatkräftig unterstützt hat.
Die Begegnung mit ihr dauert länger als geplant, ihre spannenden Erzählungen über das, was sie in den vergangenen 8 Jahren erlebt hat, sind fesselnd und füllen den Nachmittag. In einem gemütlichen Beisl, bei Wienerschnitzel und Tafelspitz, erzählt uns Frau S. Geschichten, die uns nicht mehr loslassen und als Vorlage für einen Roman dienen könnten.
Der ungeklärte Selbstmord ihres Mannes, der ein bekannter Wirtschaftsführer in Österreich war, die abweisende und verletzende Reaktion der Wiener Gesellschaft ihr gegenüber auf dessen Tod, ihr unternehmerisches Engagement in Debrecen, als Chefin eines Einkaufscenters im tiefen Osten Ungarns, ihre unerklärliche Beziehung zu Wewalka, einem berühmt/berüchtigten Wiener Unternehmer, den sie bis zu seinem Tod begleitete, ohne ein posthumes Dankeschön von ihm und schliesslich die ungeheuer skurrile Geschichte ihres in Ungarn geklauten Hundes Herbert und seiner wundersamen Wiederauffindung unter Mitwirkung höchster politischer Kreise und von Funk und Fernsehen – der Nachmittag verflog wie im Fluge.
Wir lernten Frau S. bei dieser Begegnung neu kennen als eine interessante, charmante, mutige Frau, voller Elan und Kraft, die es sich und anderen immer wieder gezeigt hat, dass man sich von Rückschlägen im Leben nicht entmutigen lassen darf und dass persönliche Tragödien uns zwingen, uns auf uns selbst und unsere Stärken zu besinnen. Sie hat sich in diesen Jahren natürlich verändert, aus einer unbeschwerten Dame der Wiener Gesellschaft ist eine starke Persönlichkeit geworden, härter, vielleicht ein bisschen verbittert, aber auch selbstbewusster und in sich ruhender – offen für neue Herausforderungen. Eine unvergessliche Begegnung – wir waren uns auf Anhieb wieder sympathisch und haben uns vorgenommen, uns nicht mehr aus den Augen zu verlieren.
Zum Abschluss bummeln wir im letzten Licht dieses strahlenden Wintertags durch die Dorotheenstrasse und stossen natürlich auf das Dorotheum, eines der grössten und berühmtesten Auktions- und Pfandhäuser Europas. In einem alten Palais regen die zu besichtigenden Versteigerungsgegenstände – Möbel, Uhren Schmuck, alte und neue Kunst, Bücher, Kitsch und Nippes – natürlich die Phantasie an.
Das eindrucksvolle Sammelsurium an Strandgut aus Erbschaften, Wohnungsauflösungen, Konkursen, Notverkäufen und persönlichen Schicksalsschlägen zieht natürlich ein sehr interessantes Publikum an – von vornehm über normal bis halbseiden. Leider hatten wir nicht das Vergnügen einer gerade laufenden Auktion – das gehört zum Pflichtprogramm beim nächsten Besuch!
Den Abschluss dieses ersten Besuchstages geniessen wir in aller Ruhe im Augustinerkeller, einem der letzten Heurigenlokale in der Innenstadt. Gesprächsstoff bietet dieser Tag des Eingewöhnens genug, aber auch Vorfreude auf morgen, den Tag des „imperialen Wiens“.
Der heutige 2. Tag beginnt im Wiental, im berühmten Cafe Sperl, beim Wiener Frühstück und der traditionellen Zeitungslektüre. Anschliessend bummeln wir über den Naschmarkt und bedauern von den leckeren Angeboten an internationalen Spezialitäten nichts mitnehmen zu können, einem Nussbrot und Gebäck können wir dann doch nicht wiederstehen.
Der anschliessende Trödelmarkt birgt sicher ab und zu Schnäppchen, aber die vielen, teilweise sehr kunstvollen Kopien von Gallevasen und sonstigen Jugendstilgegenständen sind Warnung genug, sich hier nicht auf die Schnelle verführen zu lassen.
Die Secession mit dem berühmten Beethovenfries von Klimt ist eine erste Begegnung mit dem Charme der Kunst des Jugendstils und eine Einstimmung auf unseren morgigen Museums- und Ausstellungstag.
Um 11.00 Uhr treffen wir unseren alten Freund und Seelenverwandten, Walter Bartholomie, in der Kapuzinergruft. Unser Wienwochenende verdanken wir zwar Barbaras Geburtstag, aber vor allem auch der jahrelangen Überredungskunst von W.B., der wir jetzt endlich erlegen sind.
Walter Bartholomie ist intimer Kenner des imperialen, prachtvollen Wiens der Habsburger und gestattet uns mit seinen Augen und seinem Wissen ebenfalls einen intimen Blick in diese glanzvolle Epoche.
Wir beginnen unseren imperialen Rundgang natürlich in der Kapuzinergruft, von der er uns schon sehr viel erzählt hatte und auf die wir gehörig gespannt sind. Trotzdem sind wir zunächst sprachlos, als wir vor der Vielzahl von bestens erhaltenen Särgen stehen und damit vor der geballten Geschichte der letzten 600 Jahre. W.B., Mitglied des Stiftungsvereins, weiss zu jedem bedeutenden Sarg oder Sarkophag die dazu gehörende Geschichte und manchmal mit Augenzwinkern auch das entsprechende Geschichtchen.
Insofern erleben wir einen äusserst kurzweiligen Geschichtsunterricht über die Beziehungen der Österreicher zu Spanien, Frankreich, Russland, Preussen, Italien, Ungarn, Tschechien etc., die teils verbündet, teils verfeindet waren – auf jeden Fall aber verheiratet und verschwägert. Politik wurde damals weitgehend über die Betten praktiziert, was für die Betroffenen nicht immer amüsant war, aber der Staatsraison hatte man sich zu fügen.
Gleichzeitig war es auch ein Exkurs durch die Epochen der Kunstgeschichte der letzten Jahrhunderte, dargestellt am Beispiel der Ausgestaltung der Särge – von äusserster Schlichtheit und Strenge bis zum überladenen Prunk Maria Theresias.
Anrührend ist die Erinnerung an Zita, die 1989 starb und ein Staatsbegräbnis bekam, obwohl die Monarchie angeblich abgeschafft ist.
Wieder unter den Lebenden stärken wir uns bei einem Glas Champagner in der Reissbar, bummeln dann in Richtung Hofburg, können dem Kaiserschmarrn bei Demel nicht wiederstehen und folgen so gestärkt W.B. in die Schatzkammer der Hofburg. Dort ist er in seinem Element, mit leuchtenden Augen präsentiert er uns die Kaiser- und sonstigen Kronen, prunkvollen Gewänder und sonstigen Insignien der Macht – es wird deutlich, dass er eigentlich im falschen Jahrhundert lebt. Auch hier gibt es neben der ernsten Geschichte eine Vielzahl von „Anekdötchen“ – die Zeit eines kurzen Wienbesuchs ist für diese Kabale und Liebe viel zu kurz.
Der Tag begann bei den Toten, führte uns zu deren Insignien der Macht in die Schatzkammer und endet in Schloss Schönbrunn, gleichsam menschlich allzu menschlich mit dem Blick auf das tägliche Leben der Habsburger. Neugierig versuchen wir uns vorzustellen, wie sie gelebt, geliebt, gefeiert, intrigiert und regiert haben, sich amüsierten, tafelten, badeten, schliefen, froren und starben.
Sissi prägt das Schloss, eine wohl sehr schöne, aber nicht sehr glückliche Kaiserin.
Der Tag klingt vergnüglich aus im roten Salon des Sacher. Wir sind von viel nackter Haut und festlicher Kleidung umgeben, die meist jungen Ballbesucher stärken sich hier standesgemäss. Man könnte ein bisschen melancholisch werden, bei soviel praller Jugend.
Erschöpft, aber glücklich über das Erlebnis von soviel Schönheit, Kultur, Geschichte und Machtentfaltung einer vergangene Zeit können wir W.B. nicht genug danken für seine Gastfreundschaft, für die Geduld, mit der er sein Wissen mit uns geteilt hat und für seine unaufdringliche Art – ein kultivierter Weltbürger in seiner Stadt!
Wien ist ab heute untrennbar in unseren Köpfen mit W.B. verbunden.
Den uns noch verbleibenden Sonntag widmen wir der Kunst des Jugendstils und der verwandten Epochen.
Den Geburtstagsmorgen von Barbara beginnen wir im Cafe Mozart, wo wir von einem überaus liebenswürdigen Kellner bedient werden, der uns gut gelaunt in die Albertina entlässt, wo wir mit der Ausstellung „Von Klimt bis Klee“ einen ersten Höhepunkt erleben.
Wir stossen hierbei auf die Künstlerbeziehung Klimt, Schiele, Kokoschka, die uns bisher fremd war. Wir lassen uns besonders von Klimt und Schiele verzaubern, neben deren filigraner Mal- und Zeichenweise Kokoschka doch sehr schwerblütig wirkt – deutsch, obwohl er in Österreich geboren wurde.
Die Ausstellung spiegelt auch das künstlerische Gespür von Fitz Wotruba wider, der als Chef der Galerie Würthle in Wien nach dem 2. Weltkrieg ein umfassendes Ausstellungsprogramm der Kunst ab 1900 organisierte, bis zur Moderne eines Arnulf Rainer. Zu Recht wird er in einer Sonderausstellung mit einer eigenen Ausstellung seines Werkes geehrt. Wir entdecken dort die Breite seines Schaffens, das uns so nicht bekannt war.
Ohne den übrigen Künstlern z.B. des blauen Reiters Unrecht zu tun, konzentriert sich unser Interesse auf Klimt und Schiele, die man nur hier in Wien in dieser Breite und Vielfalt erleben kann. Im Museum Leopold rundet sich das Ganze ab, man hat das Gefühl, dass dort die in der Albertina noch fehlenden Exponate hängen.
Da sich beide Maler, neben Selbstportraits, überwiegend mit der holden Weiblichkeit beschäftigen, zieht sich eine angenehme, erotische Grundstimmung durch diesen „kunstvollen“ Sonntag.
Klimt hat posthum 16 Vaterschaftsklagen hinterlassen, Schiele wurde wohl zu Unrecht der Verführung Minderjähriger bezichtigt – unstrittig hat beide das Weibliche zeitlebens fasziniert.
Der frühe Tod von Schiele, 3 Tage nach dem Tod seiner schwangeren Frau, beide sterben an der spanischen Grippe, berührt uns noch heute – vor allem, wenn man seine letzte Zeichnung sieht, die er wenige Tage vor beider Tod von seiner kranken Frau machte.
Wunderschöne Ausstellungskataloge geben uns zuhause die Möglichkeit, die Eindrücke zu vertiefen und noch mehr über diese faszinierende Kunstepoche zu erfahren.
Obwohl die Museumsinsel mit der Kunsthalle und dem Museum Ludwig noch jede Menge Kunst bietet, waren wir vernünftig und haben den Kunstkonsum eingeschränkt nach dem Motto „weniger ist mehr“, zumal wir der dort zu sehenden Moderne heute nicht mehr viel abgewinnen konnten. Wir waren zu sehr fixiert auf unsere lokalen Jugendstilhelden.
Begegnungen mit Freunden und früheren Kollegen, mit der Habsburger Pracht und der Kunst des Jugendstils, mit Sacher und Demel, der österreichischen Cafekultur, dazu Kaiserwetter – kann man noch mehr verlangen von einem Wochenende?
Wir hätten gerne mit Nein geantwortet, hatten jedoch zum Schluss noch eine Begegnung der besonderen Art. Im Cafe Oberlaa (die besten Pralinen!) wurden wir von einer vornehmen älteren Dame angesprochen. Sie war Unternehmerin, Photografin, wie sich herausstellte. Vom ersten Satz an konfrontierte sie uns mit einer Fremdenfeindlichkeit, einem Hass, dem wir völlig hilflos gegenüber standen. Sie verbreitet in kultivierter Sprache einen solchen „braunen Mist“, dass wir ebenso sprachlos waren, wie ihr studierter, blasser Sohn, der sich völlig aus dem Gespräch heraushielt. „Ich gebe Ausländern grundsätzlich kein Trinkgeld, sollen sie es sich doch auf dem Balkan holen“ oder „Ich würde sofort aus Europa aussteigen, wir finanzieren ja nur den Balkan“ oder „ Ihr Deutschen seid ja inzwischen zu feige, ihr traut euch gar nichts mehr zu sagen“ etc., dies nur eine kleine Auswahl ihrer Aussagen.
Was sollte man in so einem Fall tun? Einen Streit vom Zaun brechen und sich den schönen Sonntag verderben? Hat diese Intoleranz tatsächlich Gefolgschaft bis in die höheren Kreise, in Österreich?
Ein tolles Wochenende ging nachdenklich zu Ende.
1.2.2004 Klaus Weidner