Piemont – mehr als eine Golfreise, ein Reisebericht
1. Vorbemerkungen
Wir haben Ende Mai unsere in den Vorjahren begonnenen Entdeckungsreisen durch Oberitalien mit einem 10 tägigen Aufenthalt im Piemont fortgesetzt.
Wir haben uns hierbei teilweise auf die Empfehlungen unserer italienischen Freunde von Toscana Golf & More (www.toscanagolfmore.com ) gestützt, mit denen wir bisher beste Erfahrungen gesammelt hatten.
Dabei wollten wir wieder Landstriche kennenlernen, die nicht im Fadenkreuz des Massentourismus liegen und haben uns deshalb für die Gegenden um Gavi und Asti entschieden – außerhalb des Rummels der Weinlese und Trüffelernte im Herbst.
Um es vorweg zu nehmen, diese Orts- und Jahreszeit-Entscheidungen haben sich als goldrichtig erwiesen. Wir erlebten eine nahezu „touristenfreie“ Zeit und konnten entspannt die Landschaft, Kultur, Kulinarik und den Golfsport genießen.
2. Grundsätzliches zu Piemont
Piemont (wörtlich am „Fuß der Berge“) ist nach Sizilien die flächenmäßig größte Region Italiens. Hauptstadt ist Turin, wo 900.000 der insgesamt 4 Millionen Menschen leben. Das Landschaftsbild ist sehr vielseitig, im Norden die Gebirgsketten, dann die Poebene mit den großen Städten und schließlich das Hügelland im Südosten, wo die berühmten Weine Barbera, Barbaresco und Barolo wachsen und im Süden die Gegend um Gavi mit seinen exzellenten Weißweinen.
Obwohl das Land einerseits von der Landwirtschaft geprägt ist, arbeitet der Großteil der Bevölkerung in den Industriezentren, die von großen Firmennamen wie Fiat, Lancia, Olivetti, Ferrero, Nutella (180.000 Tonnen pro Jahr!) geprägt sind. Piemont zählt damit zu den reichsten Regionen Italiens, mit einer niedrigen Arbeitslosenquote.
Interessanterweise ist Piemont touristisch weit weniger erschlossen, als andere italienische Regionen, was sicher auch damit zusammenhängt, dass es keinen Zugang zum Meer hat und damit vom sommerlichen Massentourismus meist nur als Durchreiseland genutzt wird. Piemont ist verkehrstechnisch auf mehreren Nord /Süd Autobahnen sehr gut zu erreichen und ist beispielsweise von Stuttgart aus genauso ca. 600 km entfernt wie Berlin.
Es passt ins Bild, dass hier 1989 die „Slow Food“- Bewegung gegründet wurde und dass somit auch der Individualtourismus gepflegt wird – mit Ausnahme der herbstlichen „Trüffelitis“ in der Region um Alba und den großen Weinfesten im Monferrato.
Geschichtlich stößt man hier im frühen Mittelalter auf Kaiser Barbarossa, später wird Turin die Hauptstadt Savoyens, dann besetzt Napoleon Piemont für 12 Jahre, danach wird Piemont eine kurze Zeit österreichische Provinz, 1861 wird das Königreich Turin ausgerufen, 1946 wird Italien Republik und 1970 wird Piemont eine eigenständige Region.
3. Gavi und seine Umgebung
Nach angenehmer, 6 stündiger Autofahrt standen wir auf einem Hügel in der Nähe Gavis vor unserem ersten Urlaubsdomizil, der Albergo L`Ostelliere.
Wir waren vom ersten Augenblick an entzückt von der Lage und Einrichtung dieses alten Weinguts aus dem 17. Jahrhundert. Es wurde von weiblicher Hand geschmackvoll restauriert und eingerichtet und zu einer Oase der Ruhe und Entspannung einerseits, aber auch kulinarischer Genüsse und wunderbarer Weinproben entwickelt. Frühstück oder Abendessen auf der Terrasse des Restaurants „La Gallina“, mit wundervollen Blicken in die umliegenden Weinberge, waren fast schon allein die Reise wert. Ein Sonnenuntergang mit einem Glas des herrlichen hauseigenen Weißweins in der Hand – welcome in paradise!
Hier feierten wir dann auch stilvoll meinen Geburtstag beim 5 gängigen Hausmenü und exzellenten Weinen. Es ist übrigens im Piemont üblich, dass man jeweils einen (Haus-) Wein auswählt und dann entscheidet, wie viel man trinkt – wenn die Flaschen nicht leer sind, werden nur die Gläser abgerechnet, das ist praktisch, zumal wenn Paare einen unterschiedlichen Weingeschmack haben.
Wenn wir schon beim Wein sind, begeben wir uns doch gleich mal zur Weinprobe in die weitläufigen, romantischen alten Weinkeller, die sich seit Jahrhunderten unter dem Weingut befinden. Hier lagert der „Villa Sparina“ , einer der besten Weißweine Italiens. Er reift 6 Monate in Holzfässern und wird dann in Flaschen abgefüllt und in s.g. Weinpyramiden gelagert. Wir probieren auch den ausgezeichneten Rotwein, der 12–18 Monate im Fass reift und danach einen runden, harmonischen Geschmack entwickelt, zumal vom Jahrgang 2007, der ein Jahrhundertjahrgang war. Abgerundet wird die Weinprobe mit einem Brut, einem sehr eleganten und süffigen Sekt. Die Preise waren erstaunlich moderat, für obigen Rotwein und den Weißwein aus 2010 wurden pro Flasche 9.-€ verlangt – da lacht das Herz des Weinliebhabers.
In den Folgetagen erkundeten wir abwechselnd die nähere Umgebung oder tummelten uns auf den beiden ausgezeichneten Golfplätzen.
Unsere erste Besichtigung galt dem Örtchen Gavi, das antiken Ursprungs ist und von der wuchtigen Festung Forte di Gavi überragt wird. Die Fahrt nach Gavi führte durch eine sehr hügelige, äußerst malerische Landschaft, die vom Weinbau und mehr oder weniger prachtvollen Weingütern geprägt ist. Das Forte di Gavi erreichten wir auf einem engen und steilen Pfad – in der Hoffnung, dass kein Auto entgegenkommt. Der Besuch der 400 Meter über dem Ort gelegenen Festung aus dem 16. Jahrhundert war aber sehr lohnend, zum einen wegen der schönen Ausblicke auf Gavi und das Tal der lemme, zum anderen weil eine eifrige Führerin mit ihren Schilderungen Staunen und Schaudern beim Gang durch die Festung und die z.T. noch erhaltene Burg aus der Frühzeit erzeugte. Barbarossa hatte sich hier verschanzt, später war die Festung ein Gefängnis mit unvorstellbaren Zuständen.
Der südliche Teil des Piemonts wurde geschichtlich sehr stark von Genua beeinflusst, das von 1557-1815 Besatzungsmacht war. Man kann diese Einflüsse speziell in den Städten dieser Region beobachten, z.B. in Novi Ligure und Ovada, die wir ebenfalls besuchten und deren Besuch sich auch lohnte.
Wie schon der Name sagt, ist der ligurische Einfluss in Novi besonders stark, der sich auch heute noch an den bemalten Fassaden der Häuser zeigt, den s.g. „trompe d `oeil“, wie mir die Französischlehrerin an meiner Seite mit hochgezogener Augenbraue erklärte. Der Bummel durch die „bemalte“ Altstadt wurde durch einen Antiquitätenmarkt, eine Hochzeit und eine Verkaufsmesse zu Ehren des Buches verschönt. Darüber hinaus nennt sich Novi auch „Citta die Campionissimi“, weil hier die Radrennfahrerlegende Fausto Coppi lebte – er wird auch mit einem Museum geehrt.
Am Pfingstsonntag fuhren wir nach Ovada, einem ebenfalls uralten Städtchen, mit engen Gassen und einer sehr schönen Kirche, wo gerade der Pfingstgottesdienst abgehalten wurde – vor weitgehend älterem Publikum. Viele junge Leute saßen währenddessen in den zahlreichen Cafes, Kneipen und Restaurants rund um den Kirchplatz und pflegten eine eher virtuelle Frömmigkeit mit ständigem Blick auf ihre Handys.
Kulinarisch gingen wir natürlich ab und zu fremd, sehr zum Leidwesen unserer Gastgeber im Weingut. Wir folgten den Empfehlungen von „Toscana Golf“ und haben im La Masseria in Gavi und im Locanda San Rocca in Tassorolo ebenfalls sehr gut gegessen – einfacher, rustikaler und preiswerter – eine willkommene Abwechslung zur edleren Hotelküche. Wir wurden als Deutsche in diesen Familienbetrieben mit großer Freundlichkeit empfangen und waren dort auch die einzigen Touristen. Es war ein spezielles Erlebnis, die Großfamilien mit 4 Generationen am Tisch beim pfingstlichen Abendessen zu erleben, wo es modisch, laut und temperamentvoll zuging, italienisch eben!
4. Golf in Piemont
Wir hätten uns nicht träumen lassen, dass Piemont auch ein Golfparadies mit 40 Golfplätzen darstellt!
Wir probierten während unseres Aufenthalts 3 Golfplätze aus: in der Umgebung von Gavi den GC Colline de Gavi (27 Loch) und GC Villa Carolina (27 Loch), bei Asti den GC Margara.(36 Loch).
Beim Colline de Gavi handelt es sich um einen hügeligen, sehr anspruchsvollen Country Club in mitten der Weinhügel Gavis. Der Platz wirkt sehr naturbelassen und bietet mit Bächen, Weihern und z.T. steilen An- und Abstiegen für jede Spielstärke genügend Herausforderungen. Besonders erwähnenswert ist die herzliche, familiäre Atmosphäre im Clubhaus und Restaurant. Als der Chef des Restaurants hörte, dass wir Deutsche sind, sagte er augenzwinkernd „hallo, mein Herzele…“ und dachte dabei offensichtlich verträumt an eine frühere, amouröse deutsch / italienische Begegnung.
Der GC Villa Carolina wirkte dagegen weniger familiär und rustikal, sondern eher fein und vornehm. Der Gast wird von einem hochherrschaftlichen Clubhaus empfangen, das ehemals die Sommerresidenz einer Marquisa Carolina war. Der Platz ist sehr gepflegt und Teil eines zweihundert Jahre alten Parks. Er ist fair und trotz Wasserhindernissen und hügeligem Gelände gut zu bespielen, zudem bietet er wunderschöne Ausblicke auf die umgebenden Weinberge und Weingüter. Leider konnten wir das hoch gelobte Restaurant nicht testen, da es montags geschlossen war. Apropos – montags besteht in Italien die Gefahr, dass man verhungert! Nahezu alle Restaurants, Pizzerien, Bars etc. haben montags Ruhetag, so rettete uns schließlich ein zum Glück offener Supermarkt, wo wir Brot, Käse und Obst kauften und es uns auf dem Zimmer unseres Weingutes schmecken ließen.
In der Umgebung von Asti bespielten wir dann noch die beiden 18 Lochplätze des GC Margara. Von diesen Plätzen schwärmten alle, mit denen wir vorher über mögliche Golfplätze sprachen – zu recht! Die sehr gepflegten Plätze liegen in den Hügeln von Monferrato, sind sportlich abwechslungsreich und bieten auf breiten Faiways ein entspanntes Spielvergnügen. Während der Woche waren wir auf den Platz nahezu allein und bespielten quasi unsere Privatplätze! Im Clubhaus wurden wir freundlichst von der mit einem Italiener verheirateten deutschen Clubsekretärin Silvia Acompora begrüßt, die uns auch mit exzellenten kulinarischen Tipps versorgte, darauf komme ich später zurück.
Zusammengefasst lässt sich feststellen, dass Piemont ein noch weitgehend unentdecktes Golfparadies darstellt – mit schönen Anlagen, ohne Drängelei und Hektik und sehr vernünftigen Greenfee-Preisen. Es empfiehlt sich allerdings für den Gastspieler, sich auf die Werktage zu beschränken, am Wochenende ist bei den z.T.großen Sponsorenturnieren „carnevale“!
5. Asti und Umgebung
In der Nähe von Asti fanden wir im „Relais Rocca Civalieri“ für 3 Nächte komfortablen Unterschlupf. Das ehemalige Lustschloss piemontesischer Edelleute wurde in ein Hotel mit allen Annehmlichkeiten umgebaut. Es bietet einen idealen Standort, um die Umgebung von Asti und Casale Monferrato kennenzulernen und darüber hinaus auf dem Golfplatz Margara entspannt Golf zu spielen.
Die Mischung von Alt und Neu ist bei der Renovierung der alten Gebäude nach unserem Geschmack viel zu klotzig geraten und deshalb optisch misslungen – hier wäre weniger mehr gewesen, aber über Geschmack lässt sich trefflich streiten. Die Zimmer sind groß und angenehm, der Service freundlich und das Spa und Schwimmbad bieten nach Sport und Besichtigung wunderbare Möglichkeiten sich zu erholen und zu entspannen.
Wir bummelten am späten Nachmittag durch die Gassen und Plätze von Asti, bewunderten auch hier die mittelalterlichen Paläste, Kirchen und Geschlechtertürme der ehemals bedeutenden Handelsstadt im Zentrum des Monferrato. Die über 2000 Jahre alte Geschichte begegnete uns auf Schritt und Tritt und war die perfekte Kulisse für die modernen Modegeschäfte entlang der Haupteinkaufs- und Bummelmeile Corso Vittorio Alfieri.
Der Abend brachte uns ein kulinarisches Highlight mit dem Besuch der Trattoria i Bologna im kleinen Örtchen Rocchetta Tanaro, in der Nähe von Asti.
Hier zelebriert die Fam. Bologna seit über 20 Jahren gepflegte piemontesische Gastlichkeit, die inzwischen weit über Italien hinaus bekannt ist. Der andere Zweig der Familie Bologna betreibt in der Nachbarschaft das Weingut Braida – Rotweine zum niederknien! Der Abend in der Trattoria war auf jeden Fall der kulinarische Höhepunkt unserer Reise. Es gab keine Speisekarte, der Sohn kochte diverse Gänge, seine Mama bereitete die handgemachten Pastas zu und gegessen wurde, was die Schwiegertochter dann charmant servierte. Dazu tranken wir die Weine der benachbarten Verwandtschaft, z.B. den Barbera d `Asti Bricco dell Uccelone. Mama Bologna durch die gläserne Küchentür beim Zubereiten der diversen Pastavorspeisen zuzusehen, war ein zusätzliches Vergnügen, ebenso die Besichtigung des gepflegten Kräutergartens hinter dem Haus.
Diese kulinarische Versuchung schreit nach Wiederholung!
In der oben genannten Trattoria trafen wir Schweizer Gäste, die uns den Besuch von Casale Monferrato sehr ans Herz legten. An unserem letzten Urlaubstag folgten wir dieser Empfehlung und mussten erneut feststellen, dass auch dieses Barockstädtchen einen Besuch wert war. Schon Napoleon bezeichnete Casale als „citta di riguardo“ – als eine Stadt, die Aufmerksamkeit verdient. Neben vielen schönen Palästen stießen wir hier auf eine wunderbare romanische Kathedrale aus dem 11./ 12. Jahrhundert, die mit ihrem herausragenden Campanile einen Teil des Stadtbildes beherrscht. Die Licht- und Schattenspiele im Inneren des Doms brachten Farben und Formen der Einrichtung und Kunstwerke zum Leuchten, z.B. den blauen Sternenhimmel und die bemalten Rundbögen und schufen so eine unvergessliche Stimmung. Wir bummelten weiter durch die Hauptstraße Via Roma, sahen links und rechts viele alte Gebäude mit aktuellen Modegeschäften, unter den Bogengängen wurde entspannt Espresso getrunken und ein bisschen getratscht, eine entspannte Atmosphäre lud zum Verweilen ein – hier könnte man es auch mühelos länger aushalten. Die Zeit reicht bei unserem Kurzbesuch leider nicht aus, um z.B. die Festung am anderen Ufer des Po zu besuchen – immerhin stießen wir auf eine Krumirifabrikation und kauften diese köstlichen Kekse, die eine Spezialität dieser Stadt sind.
Am letzten Abend folgten wir einer weiteren Empfehlung von Silvia A., der freundlichen Clubsekretärin von Golf Margara. Wir fuhren nach Vignale Monferrato, einem weiteren malerisch auf einem Hügel liegenden mittelalterlichen Städtchen, um dort im Ristorante Universo zu Abend zu essen. Auch hier wurden wir in einer Art Wohnzimmer ohne Speisekarte liebevoll bekocht und bedient. Es gab ca. 5 köstliche Vorspeisen, dann zwei Hauptgänge und eine Nachspeise, dazu wieder einen köstliche Rotwein – wir waren gespannt auf die Rechnung und entspannt bei 78.-€ für diese Schlemmerei. Ein letzter Blick auf die über den Weinbergen untergehende Sonne beendete diesen letzten Abend im Piemont.
6. Fazit
Wir nehmen viele schöne Eindrücke, überraschende Entdeckungen und Einsichten mit nach Hause und sind uns sicher, dass wir wiederkommen werden.
Piemont hat uns sein gastfreundliches, entspanntes Gesicht gezeigt. Wir wissen jetzt, dass es hier noch viel zu entdecken gibt an Kultur, Kunst und Kulinarik – eingebettet in ursprüngliche italienische Lebensart, die der Massentourismus noch nicht erreicht und beschädigt hat. Es ist tröstlich zu wissen, dass es in unserer stressigen Welt noch solche leicht erreichbaren Oasen der Ruhe und Entspannung gibt.
Esslingen 5.Juni 2012 Klaus Weidner