„Vom Land der Pyramiden bis in den Sinai“

Ein Reisebericht mit Eindrücke und Gedanken zu einer Gruppenreise, die uns in 13 Tagen kreuz und quer durch Ägypten führte.

Nach vielen Anläufen und Angst vor Terrorismusgefahr, Durchfallerkrankungen und Gruppenzwängen, haben wir uns endlich in das Abenteuer einer 13 tägigen Gruppenreise gestürzt. Kairo, Abu Simbel, 3 Tage auf dem Schiff über den Nasserstausee, Assuan, Luxor und 3 Tage in Sharm el Sheikh, am roten Meer, sind die Stationen und hören sich verlockend an.

1. Tag, Anreise

Ankunft in Kairo gegen 24 Uhr, Transfer durch die längst noch nicht schlafende Stadt zum riesigen Marriot-Hotel. Unser Reiseleiter, Youssry Zaki, erklärt uns charmant und bestimmt, dass um 5.45 Uhr geweckt werde und um 7.00 Uhr das Programm beginnt. Barbara protestiert halbherzig, eine Reiseteilnehmerin murmelt „schlafen können wir ja zuhause“, womit sie recht hat, wir sind ja schliesslich freiwillig und zum Vergnügen hier.

2.Tag, Kairo

Erstaunlich wache 25 Gruppenmitglieder lassen sich am frühen Morgen auf das Unmögliche ein, Kairo an einem Tag erfassen zu wollen.

Zunächst ein erhebendes Gefühl, als wir erstmals den Nil überqueren, den längsten Fluss dieser Erde, von unzähligen Geschichten und Mythen umgeben. Unser Hotel liegt auf einer Nilinsel und gehört damit nicht zu Kairo, sondern zur Nachbarstadt Gizeh.

Die Fahrt im Bus durch die Stadt gibt uns einen ersten Eindruck über das Leben in einer 17 Millionen Metropole.

Der übliche Verkehrswahnsinn und Lärm – aber ein exotisches Bild der Verkehrsteilnehmer, das sich vom Eselskarren, über Fahrrad und Motorrad, alle abenteuerlich beladen und überlastet, bis zu Autos, bei denen man sich wundert, dass sie überhaupt noch fahren, erstreckt. Dazwischen die menschlichen „Lastesel“, behängt, ziehend, schiebend, schreiend, um sich Platz und Respekt zu verschaffen.

Überall Polizei, Militär, Hilfspersonal, Führer, Wächter, Verführer, Animierer – an Arbeitskräften ist kein Mangel.

Alle touristischen Brennpunkte sind polizeiliches oder militärisches Beobachtungsgebiet. Martialisch aussehende und mit MP bewaffnete Männer geben ein Gefühl der (Schein-) Sicherheit, wobei ich trotzdem keinen Ernstfall erleben möchte. Ob dann die gelangweilt wirkenden und sicher schlecht bezahlten jungen Leute ihre Waffen „touristenschonend“ einsetzen – diesen Ernstfall stelle ich mir lieber nicht vor.

Aber zurück zum Moloch Kairo: ein faszinierendes Gemisch aus Orient und Okzident, aus alt und jung, modern und traditionell, arm und reich, hässlich und kunstvoll – bunt, chaotisch, laut, spannend in seinem ständigen Wechsel, eine natürliche Inszenierung, ohne sichtbaren Regisseur.

Die Fahrt durch die Stadt, das Zentrum, durch alte und neuerer Stadtteile, vorbei an der bewohnten Totenstadt hinauf zur Zitadelle, macht Lust auf Aussteigen und Bummeln, sich einfangen lassen und eintauchen in diese fremde Welt. Unser Programm ist gnadenlos und lässt solche Wünsche leider nicht zu.

Die Zitadelle mit der Alabastermoschee bringt uns durch Youssry eine erste Einführung in die Grundzüge des Islam. Unser Führer gibt sich grosse Mühe, uns die toleranten Seiten seiner Religion zu erläutern – wir bleiben skeptisch. Die Bilder der fanatischen, fundamentalistischen, frauenfeindlichen Auswüchse dieser Religion sind in unseren Köpfen festgefügt.

Mohamed Ali, ein politischer Baumeister des modernen Ägypten im 19. Jahrhundert, wird uns durch die Schilderungen von Youssry Gestalt. Er vereinte Vision, Machtinstinkt und Brutalität und ist für zahlreiche Reformen und Bauvorhaben berühmt.

Der Blick von der Zitadelle zeigt eine Stadt im Umbruch – überall wird abgerissen, gebaut, verschönert, vergrössert, Lücken geschlossen und neue aufgerissen – ein fremder Betrachter erkennt kein System, aber das ist sicher zu westlich gedacht. Die Stadt wirkt von oben überraschend grau, das Ergebnis von Sand, Wind und Hitze, die letztlich über jede Farbe siegen.

Wir tauchen wieder ein in die Stadt und besichtigen die Sultan Hassan Moschee. Sie präsentiert sich völlig anders als die Alabastermoschee – 4 mächtige Gebetsräume, der grosse Brunnen für die Waschungen, der Hauptgebetsraum, mit Kanzel, Tribüne und nachfolgendem Mausoleum vermitteln neue Eindrücke der islamischen Baukunst. Der Vormittag endet mit dem Besuch der Ibn Tutem Moschee, der zweitältesten Moschee Kairos. Ein grosser Innenhof ist von sehr schönen Arkadenhallen umgeben, mit Blick auf ein kunstvolles Brunnenhaus und Minarett.

Das Mittagessen im Bazar und der anschliessende kurze Bummel durch die Hauptachse des Bazars gibt uns Gelegenheit zu erstem „hautnahem“ Kontakt mit den Menschen. Im Kaffee probieren wir kleine Köstlichkeiten aus der arabischen Küche, am Nachbartisch wird die Wasserpfeife geraucht – ich hoffe, ich habe noch Gelegenheit, sie auszuprobieren. Leider bleibt zu wenig Zeit für den Bazar, so dass wir ausser ein paar Photos malerischer Personen und Situationen nur den köstlichen Geschmack gegrillter Süsskartoffeln von einem Strassenhändler mitnehmen.

Der Abschluss und Höhepunkt dieser Kurzvisite Kairos ist der Besuch des ägyptischen Museums. Obwohl wir schon ziemlich erschöpft sind, geniessen wir die Schätze dieses einmaligen Museums und erhalten von Youssry weitere fachkundige Einblicke in die altägyptische Kultur, Kunst und Geschichte. Der Höhepunkt ist natürlich der Schatz des Tutanchamun im Obergeschoss. Wir bestaunen ungläubig die vielfältigen, handwerklich filigranen Kunstschätze, dabei kommt mir in den Sinn, dass in der vergleichbaren Zeitepoche unsere Vorfahren noch in Höhlen und Wäldern hausten.

Kairo, du hast uns neugierig gemacht, wir kommen wieder.

3. Tag, Pyramiden und Gräber

Der Tag beginnt bei den Pyramiden von Dashur, führt uns zu den Gräbern und zur Stufenpyramide von Sakkara und endet in Gizeh, bei Cheops und Sphinx.

Ein kalter, klarer Wintermorgen verheisst einen schönen Tag in der Wüste.

Vorbei an den Pyramiden von Gizeh, die unwirklich zwischen Wohnvierteln auftauchen, geht die Fahrt hinaus aufs Land. Die Menschen kochen Tee am Strassenrand, bauen ihre Obststände auf oder sitzen einfach nur da und warten auf irgendein, sich uns nicht erschliessendes Ereignis oder auch auf Nichts – sie scheinen das ruhige Nichtstun zu geniessen. Was wir an dörflichem Leben sehen, wirkt gelassen und bunt, städtische Hektik ist hier fremd.

Die Pyramiden von Dashur liegen in einem militärischen Sperrgebiet – aber auch hier wird Eintritt kassiert.

Unsere erste Pyramide, die rote Pyramide, taucht auf und erfüllt uns mit Staunen: ein gewaltiger, uralter Bau, der Ehrfurcht und Andacht erweckt. Die Gruppe macht sich an den Aufstieg zur Innenbesichtigung, ich laufe durch die einsame, menschenleere Wüste um die Pyramide herum und komme plötzlich aus dem Schatten auf die Sonnenseite. Welch ein Anblick! Sie wirkt jetzt einladender, fast heiter, obwohl sie in den Jahrtausenden doch sehr gelitten hat. Sie hat nicht mehr die glatte Haut der Jugend, sondern ein zerfurchtes Antlitz, Generationen haben sich an ihr bedient und die Steine ihrer einst glatten Oberfläche zum eigenen Hausbau genutzt.

Unverhofft taucht die Fremdenpolizei auf, der Chef auf dem Kamel, der einfache Soldat auf Posten – im Hintergrund brennt ein Feuer und kocht der Morgentee. In der Ferne tauchen aus dem Morgendunst weitere Pyramiden auf, einige verfallen und eine herrlich krumm und assymetrisch: die Knickpyramide. Hier haben sich die Baumeister offensichtlich verrechnet und mussten mitten im Bau die Winkel abflachen. Sie wirkt dadurch weniger ehrfurchtgebietend, menschlicher.

Ein paar Steine aus ihrem zerklüfteten Gesicht, die millionenfach herumliegen, sind als zukünftige Glücksbringer in meiner Tasche.

Die weitere Fahrt führt uns nach Sakkara, zu der Stufenpyramide und den berühmten Gräbern.

Wir werden gebührend empfangen von Kamelen und ihren Herren, die uns mit List und Tücke zum Besteigen ihrer Wüstenschiffe überreden wollen. Wenige Touristen, keine gute Zeit für Kameltaxis, da hilft auch nicht das knutschende Kamel, namens Maxi.

Die Gräber sind prunkvolle Zeugen einer reichen Vergangenheit – kunstvolle Bemalungen und Reliefs erzählen von fernen Zeiten, von Heldentaten, Liebe, Krieg und Versöhnung. Das Fotografierverbot ist für 20 Pfund kurzzeitig aufgehoben – wenig für uns, viel für einen armen Wächter, der diese zusätzliche Einkommensquelle sicher bitter nötig hat.

Wir sehen die Mastabas des Ti, des Ptahhotep und des Achethotep – eines schöner, als das andere.

Auch die uns bewachenden Polizisten wollen sich als martialische Photomotive ein paar Pfund verdienen, werden aber von einem strengen Vorgesetzten bei der Fraternisierung rüde gestoppt.

Die Stufenpyramide erstaunt uns sehr, weil sie ein ungewohntes Bild bietet. Sie steht am Rande eines riesigen Tempel- und Gräberfeldes, das durch ein gigantisches Eingangsmonument betreten wird, das sehr modern wirkt, „Bauhaus“ vor über 3000 Jahren!

Vor lauter Begeisterung hat Youssry unser Mittagessen vergessen, so dass wir hungrig und murrend im Bus sitzen. Er heilt sein Versehen mit arabischen Hamburgern, die köstlich schmecken, aber von uns etwas angstvoll verzehrt werden, im Hinblick auf mögliche Nachwirkungen.

Der vermeintliche Höhepunkt des Tages, die Pyramiden von Gizeh, entpuppt sich als Touristenfalle. Es ist voll, laut, bar jeder Ehrfurcht und Romantik, jeder Tourist wird auf Schritt und Tritt von Verkäufern und Schleppern angemacht – wir sind um eine Illusion ärmer. Wir sind natürlich verwöhnt von der Stille des Morgens in der Wüste, der Gegensatz hätte nicht grösser sein können.

Natürlich sind die Pyramiden eindrucksvoll, aber wer konnte erlauben, dass vor der majestätischen Cheopspyramide so ein hässliches und unangepasstes Schiffsmuseum gebaut wurde?

Interessant sind die Ausblicke auf die ausufernde Stadt in der Nachbarschaft, die die Pyramiden bald zu überwuchern scheint.

Ein weiteres Massenphänomen ist die Besichtigung der Sphinx. Taussende von Menschen werden durch das Nadelöhr eines schmalen Eingangs und einer engen Treppe gezwängt. Es wird gedrängelt und geschubst, es herrscht ein babylonisches Sprachengewirr und dann doch noch ein freies Plätzchen für einen Blick auf die Sphinx: Sie ist und bleibt ein wundervolles Zeugnis einer uralten, längst vergangenen Kultur und erzeugt beim Betrachter eine ehrfurchtsvolle Gänsehaut.

4. Tag, Abu Simbel

1.45 Uhr wecken, 3.30 Uhr Flug nach Abu Simbel, ca. 1000 km südlich von Kairo, mit Zwischenlandung in Luxor.

Etwas übernächtigt schiffen wir uns auf der MS Nubia ein, die uns für 3 Tage und Nächte beherbergen wird. Wir sehen Schiff, Ausstattung mit einer übertriebenen Skepsis, was sicher auch mit dem Schlafdefizit zusammenhängt.

Beim Auslosen der Kabinen ziehe ich die Nr. 319, was sich als Glückslos erweist, da sie in der 3. Etage liegt und uns schöne Ausblicke und frische Seeluft beschert.

Ein Steinwurf entfernt ist der Eingang zum um 65 m „gelifteten“ Tempel von Abu Simbel. Eingang und Rückseite des Monuments sehen neu und künstlich aus, sollten wir hier wieder eine Enttäuschung erleben? Wir kommen um die Ecke des künstlichen Hügels und halten den Atem an: die gewaltigen, 20 m hohen Steinfiguren des Haupttempels begrüssen uns in schönster Morgensonne. Beim 2. Blick entdecken wir auch den kleineren Tempel, wobei die immerhin 10 m hohen Figuren fast zierlich wirken.

Staunend nähern wir uns dem sitzenden Ramses II., aus Stein gehauen und gleich vier- fach zu bewundern. Antike Besucher haben auf ihm ebenso ihre Spuren hinterlassen, wie Touristen der Neuzeit – die Einritzungen sind ausnahmsweise mal interessant und nicht nur ärgerlich.

Wenn man den Tempel betritt, durchschreitet man eine mächtige Pfeilerhalle, bevor man in die vielen Nebenräume und schliesslich ins Allerheiligste gelangt. Wunderschön erhaltene Reliefs und Wandmalereien erzählen endlos spannende Geschichten aus längst vergangener Zeit, deren Themen zeitlos von Liebe, Freundschaft, Verrat und Hass, Macht und Unterwerfung, Krieg und Frieden, Verträgen, religiösen und Alltagsszenen erzählen. Bei Ramses und seiner göttlichen Verwandtschaft kann man sich verlieren, ich versuche gar nicht erst, mir Einzelheiten zu merken und lasse statt dessen meiner Phantasie freien Lauf…

Abu Simbel, eine altes und modernes Weltwunder und Zeugnis menschlicher Kultur und Technik: die Entstehung vor über 3000 Jahren und die Rettung vor dem Untergang im steigenden See, vor 40 Jahren. Es übersteigt meine Vorstellungskraft, dass dieses gigantische Gesamtkunstwerk früher 65 m tiefer direkt am Flussufer stand.

Ich verneige mich und kann mich nicht satt sehen – ein Höhepunkt unserer Reise, etwas Unvergessliches.

Am Abend rundet eine Ton- und Lichtshow das Ganze ab – ein Augen- und Ohrenschmaus vertieft und ergänzt die Eindrücke des Tages, der Wind der Geschichte bläst sanft durch die nächtliche Arena und versorgt uns mit genügend Stoff zum Träumen.

5. Tag, Kreuzfahrt auf dem Nassersee

Früh morgens verabschieden wir uns von Ramses und seiner schönen Frau von See aus – etwas Wehmut kommt auf, ob wir uns noch mal wiedersehen?

Im weiteren Verlauf unserer Schiffsreise stellt sich diese Frage allerdings als unbegründet heraus. Ramses hat entlang des unteren Nils viele Spuren in Form von Tempeln hinterlassen, zwar nicht so majestätisch und prachtvoll, aber in ihrer Schlichtheit auch sehr eindrucksvoll, fassbarer, menschlicher.

Die geruhsame Fahrt auf dem Nassersee gestaltet sich interessanter und vielfältiger, als gedacht. Felsformationen und Wüste ziehen an uns vorüber, die erfahrene Weltenbummler zu Vergleichen mit dem amerikanischen Westen ermuntern.

Das Schiff ist international besetzt, ca. 150 Gäste aus französischen, italienischen und deutschen Gruppen treffen sich friedlich und freundschaftlich beim hervorragenden Buffet. Als ungeübte Gruppenreisende bringen wir anfangs unwissentlich eherne Gesetze der Sitzordnung in Bus und Schiff durcheinander, weil wir uns naiv jeden Tag einen neuen Platz suchten, um möglichst viele Mitreisende kennen zu lernen. An diesem Punkt hört allerdings der Spass auf, es gilt das „GdeP“ (Gesetz des ersten Pos), d.h. was ein Po am ersten Tag der Reise besetzt, darauf besteht ein unverbrieftes Recht, das eisern verteidigt wird. Mich erinnert dies an die Beamtenkantine in der Oberpostdirektion, es fehlt nur noch das mittägliche „Mahlzeit“. Wir werden als „wanderndes Ehepaar“ anfangs von den alten Hasen mit milder Nachsicht geduldet, später aber rigoros diszipliniert.

Der Nachmittag bringt einen Ausflug zu den Felsentempeln von El Amada und El Derr. Beide Tempel wurden ebenfalls vor dem steigenden Nil gerettet und 70 m höher in Sicherheit gebracht. Sie liegen in einer grandiosen Wüstenlandschaft, deren Farbenpracht nicht nur die Fotografen entzückt. Wir feiern Wiedersehen mit Ramses II. Reliefs und Hieroglyphen erzählen erneut von seiner langen, erfüllten Regierungszeit.

Auf dem Rückweg zum Schiff macht ein Nubier mit einem Baby-Krokodil das Geschäft seines Lebens, während die Fotografen nach dem geeigneten Vordergrund für einen stimmungsvollen Sonnenuntergang suchen.

6.Tag, Erholung auf See

Nach einer langen, ruhigen Nacht an Bord, beginnen wir frühmorgens mit der Besichtigung der Tempel von Sebua und Dakka, die ebenfalls vor den Fluten des Nils gerettet wurden.

Der Tempel von Sebua wurde auch von Ramses gebaut und später zur christlichen Kirche umgewidmet. Symbole beider Religionen mischen und überlagern sich – wobei die altägyptischen Götter zumindest hier ihre Dominanz erhalten haben. Ein Spaziergang durch den feinen Wüstensand zum Tempel von Dakka rundet den Ausflug ab.

Das Besteigen des Torturms gegen „Bakschisch“ wird durch herrliche Ausblicke in eine grandiose Wüstenlandschaft belohnt – das tiefe Blau des Sees mischt sich mit dem zarten Grün des Küstenstreifens und den Braun- / Beige- / Rottönen der Wüste, überstrahlt vom warmen Licht der Morgensonne an einem wolkenlosen Himmel. Wer hiervon unberührt bleibt, muss aus Stein sein!

Kurz vor Assuan überqueren wir den „Wendekreis des Krebses“, mir fällt hierzu Henry Miller ein.

Obwohl ich von Nilkennern vor der Reise skeptisch gefragt wurde, was ich denn 3 Tage auf dem uninteressanten Nassersee wolle, muss ich rückblickend sagen, es war sehr angenehm, entspannend, man kam sich menschlich näher und hatte Muße, das bisher Gesehene zu verarbeiten. Ein fantastisches Essen und eine kommunikative, unproblematische Reisegruppe trugen das Ihre dazu bei.

7. Tag, Assuan

Frühmorgens verlassen wir unser Schiff per Bötchen zur Besichtigung des Kalabsha-Tempels, der malerisch auf den Hügel einer kleinen Insel versetzt wurde.

Vom Tempel aus haben wir einen ersten Blick auf den grossen Staudamm von Assuan. Etwas tempelmüde beobachte ich statt dessen den mühsamen Bau eines Hauses in der Nachbarschaft – mühselige und ausschliessliche Handarbeit, wie vor Taussenden von Jahren. Die Arbeiter wundern sich sicher, über das merkwürdige Interesse des Touristen für ihre gewohnte Arbeit… aber bei entsprechendem Bakschisch verstummen alle Fragen.

Nachdem wir uns endgültig von unserer MS Nubia verabschiedet haben, besichtigen wir den Staudamm aus der Nähe: ein weiteres modernes Weltwunder, von den Russen gebaut. Der Damm ist 5 km lang, über 120 m tief und am Boden fast 1ooo m dick. Dies scheint genug Stahl und Beton für die Ewigkeit und doch bleiben letzte Zweifel. Im Falle eine Bruchs des Staudamms würde das gesamte untere Niltal zerstört mit Millionen Toten und das Mittelmeer würde so ansteigen, dass Zypern überschwemmt würde.

Apokalypse later! Über die langfristigen ökologischen Auswirkungen des gigantischen Stausees, über das Fehlen des fruchtbaren Nilschlamms im Nildelta etc. streiten sich die Experten. Wir wundern uns nur, dass dieses unerschöpfliche Wassereservoir, über das wir 3 Tage gefahren sind, nicht sichtbarer genutzt wird, um die Wüste zu kultivieren und fruchtbar zu machen. Youssry spricht von zukünftigen Projekten parallel zum unteren Niltal – aber das werden wir wohl nicht mehr erleben – das endgültige Urteil spricht die Geschichte.

Unsere weitere Reise führt und zur heiligen Insel Philae. Schon die kurze Bootsfahrt zu diesem Tempel ist sehr malerisch. Erodierte Sandsteinfelsen begleiten uns und bilden für phantasievolle Zeitgenossen einen steinernen Zoo.

Der Tempel der Isis ist sehr eindrucksvoll, die Kapitelle der Säulen sind Früchten nachgebildet, im weiteren Verlauf stösst man auf Inschriften, die die Anwesenheit napoleonischer Truppen bezeugen. Als dieser Tempel vom römischen Kaiser Justitian im 6. Jahrhundert geschlossen wurde, bedeutet dies das Ende der altägyptischen Kultur. Später wurde er von christlichen Gemeinden genutzt.

In Assuan werden wir per Boot auf unser sehr schönes Hotel Oberroi, das auf einer Nilinsel liegt, transferiert und erleben dort einen traumhaften Sonnenuntergang, der den Nil und die alten Felukenboote in Gold taucht.

Der Abendspaziergang zur Corniche und zum Basar findet ohne mich statt, da mich ein halber Sonnenstich und Ramses Rache niedermähen. Youssrys Empfehlung, den Kopf 5 Minuten unter kaltes Wasser zu halten, hilft tatsächlich. Gelobt sei, was hart macht.

8. Tag, Fahrt von Assuan nach Luxor

Am frühen Morgen überqueren wir erneut den Nil. Der Fluss ist noch nicht sehr belebt – das Leben beginnt am Morgen eher zögerlich.

Der erste Stop ist im Dorf Kom Ombo, wo uns ein chaotischer Trubel, ein Kaleschenstau und Händlerauflauf und dann ein gewaltiger Tempel erwarten.

Riesige Säulen, von Reliefs übersät, erzählen die schon bekannten Geschichten, ergänzt z.B. durch Beweise der altägyptischen Medizinkunst, die sehr ausgeprägt war. Man wagte sich sogar an Kopfoperationen, die Gerätschaften sind in Stein gemeisselt und wirken sehr modern.

Darüber hinaus habe ich es längst aufgegeben mir die Namen der vielfältigen Götter, Halbgötter, heiligen Tierwesen etc. zu merken. Sie haben mich heute Nacht im Fieberwahn besucht, zum Glück bin ich früh genug aufgewacht, bevor ich zum Pyramidenbau rekrutiert werden konnte. Ich bewundere das Aufnahmevermögen vieler Gruppenmitglieder, die unverdrossen an den Lippen von Youssry hängen, als ob sie anschliessend ein Examen ablegen müssten.

Wir fahren weiterhin nilabwärts, durch sehr dörfliches Gebiet und können leider nur erahnen, wie die Menschen wirklich leben. Ein Mitreisender sagt „Armut sieht auf der ganzen Welt gleich aus“, was ich nicht finde, zumal Armut sehr subjektiv ist. Die Menschen, die am und vom Nil leben, sind sicher nach ihren Wertmasstäben nicht arm – der fruchtbare Boden und das ganzjährig warme / heisse Klima sorgen für genügend Lebensunterhalt. Wasser und Stromversorgung sind selbstverständlich, viele Dörfer leisten sich eine Vielzahl von Satelittenschüsseln… Als Touristen erleben wir ihr Leben allerdings nur durch die Fensterscheiben des Busses, sozusagen antiseptisch. Ein ausserplanmässiger Stopp zur Besichtigung eines Dorfes ist nicht möglich – aus Sicherheitsgründen, wie man uns sagt.

Apropos Sicherheit:

Ich habe noch bei keiner Reise soviel Polizei gesehen. Der Höhepunkt ist die heutige Fahrt im Konvoi, d.h. ein individuelles Fahren von Assuan nach Luxor ist nicht möglich, nur zweimal am Tag im streng bewachten Konvoi. Ein ledergewandeter Bulle von Mann, der sich als Mitglied der „Special Forces“ outet, zeigt mir voller Stolz sein deutsches Spezialmodell einer MP. Der Mann weiss, wovon er spricht, bei den vielen Hundert jungen Polizisten bin ich mir nicht so sicher, ob sie nicht nur Plazebos für die Touristen sind.

Der Höhepunkt des Tages ist der Tempel von Edfu. Wir starten erneut in einem Chaos von Pferdekaleschen, hupenden Autos und Bussen, fliegenden Händlern und hastenden Touristen, die verzweifelt versuchen, den Anschluss an ihre Gruppe nicht zu verlieren. Was uns erwartet, entschädigt für den Stress: ein gewaltiges, sehr schön erhaltenes Bauwerk, dem Horus gewidmet. Ein monumentaler Pylon führt in den grossen Innenhof, der von Säulen umgeben ist. Von dort wandert man durch einen weiteren Säulensaal und diverse Nebenräume bis zum Allerheiligsten und zur schönen Nachbildung einer Barke. Alles scheint grösser, gewaltiger, kolossaler als das bisher Gesehene und ist doch vermutlich nur ein Vorspiel für den morgigen Tag, Luxor und das Tal der Könige.

Am Abend versteckt sich die Sonne, so dass der Nil unspektakulär in einer wolkenverhangenen Nacht verschwindet.

Nach dem Essen erleben wir doch noch einen Vorgeschmack auf den morgigen Tag: der Besuch des phantastisch beleuchteten Luxortempels bei Nacht wird ein unerwarteter Genuss, ein puristisches Vergnügen. Das Auge wird nicht abgelenkt, sondern kann sich auf die kunstvolle Architektur konzentrieren, auf weissen Stein, das Spiel von Licht und Schatten, das besonders den Reliefs zum Vorteil gereicht. Dazu eine nächtliche Ruhe, die nur von wenigen geteilt wird. Der Kontrast zu morgen könnte nicht grösser sein. Auf dem Heimweg fallen ein paar Tropfen Regen – dies ist für die Einwohner eine Sensation!

9.Tag, Luxor, Karnak, das Tal der Könige, Sylvester

Es herrscht grosse Spannung und Vorfreude auf unsere heutige Königsetappe, der Vergleich mit der Tour de France sei mir gestattet.

Wir beginnen in aller Frühe mit Karnak, der grössten Tempelanlage Ägyptens. Leider sind 1000 weitere Touristen genau so früh aufgestanden, wie wir, aber auf der riesigen Anlage verteilen sich die Menschenmassen. Die Anlage ist ca. 2 km lang, 64 Pharaonen haben daran gebaut, über einen Zeitraum von1500 Jahren.

Wir werden von einer Sphinxallee begrüsst , die uns zu einem riesigen Pylon führt. Durch dieses Riesentor, 113 m breit und 15 m dick , betreten wir den Amuntempel, das Herzstück der Tempelanlage. 134 Säulen, die anmutig und wuchtig zugleich in 16 Reihen stehen, bilden einen Säulenwald, den es so auf dieser Welt kein zweites Mal gibt. Wenn ich mir vorstelle, dass dieser Säulensaal früher sogar überdacht war, dann kann man vermuten, wo die Ideen für die grössenwahnsinnigen Baupläne in unserem „Dritten Reich“ u.a. herkamen. Auf einer Grundfläche von 5000 qm, die von den Säulen eingenommen wird, könnte man fast den gesamten Kölner Dom unterbringen – unfassbar.

Der Säulenwald ist trotz seines Ausmasses nur ein kleiner Teil der Gesamtanlage. Wir stossen auf immer neue Tempel, Tore und Durchgänge, die Blicke auf weitere Anlagen erlauben, die z.T. noch restauriert werden. Die beiden grossen Obelisken in der Nähe des heiligen Sees erinnern an den berühmten weiblichen Pharao Hatschepsut, auf deren Spuren wir auch im Tal der Könige stossen werden. Die Schön- und Schlichtheit der Obelisken lassen uns verweilen und den Versuch unternehmen, in den Hieroglyphen alte Weisheiten oder moderne Gegenstände zu entdecken.

Der heilige See bietet eine kurze Erholung von der geballten Architektur und Kunst und belohnt den Wanderer mit fantastischen Spiegelungen, die dem Ganzen seine Strenge nehmen. Man kann hier mühelos einen Tag verbringen und würde immer noch ein neues Detail entdecken.

Wir machen uns auf nach Theben West, ins Tal der Könige. Auf dem Weg dahin überqueren wir den Nil auf einer neuen Brücke und werden dann von den beiden Kolossen von Memnon begrüsst, zwei sitzenden Steinfiguren, die uns an Abu Simbel erinnern. Im Hintergrund erkennen wir das Bergmassiv, das die Gräberfelder beherbergt und durch die Farbtupfer der Bergdörfer geschmückt wird

Im Tal der Könige erlebe ich nach Gizeh meinen zweiten Tourismusschock. Menschenmassen müssen gebändigt, abkassiert, transportiert und versorgt werden, statt ewiger Ruhe, die ewige Unruhe – das hatten sich die Könige völlig anders vorgestellt.

Wir besuchen die Gräber von Ramses III. und VI. und unternehmen einen beschwerlichen Aufstieg zum Grab des Thutmosis. Überall wird geschubst und gedrängelt, es bleibt kaum Zeit, dieses Weltkulturerbe zu geniessen. Die Gräber sind äusserst eindrucksvoll ausgestattet und teilweise auch noch sehr gut erhalten. Ob allerdings kommenden Generationen auch noch die Chance des Blicks in diese kulturelle Vergangenheit möglich ist, darf bezweifelt werden, bei diesen täglichen Menschenmassen. Hier stehen Kunst, Pietät und Kommerz in einem nicht lösbaren Widerspruch. Ich verlasse den Ort ziemlich desillusioniert, muss aber zugeben, dass meine Erwartung nach einer würdevollen Begegnung mit der glanzvollen Vergangenheit reichlich naiv war.

Entschädigt werden wir allerdings durch den ausserplanmässigen Besuch des Hatschupsut-Tempels in einem Nebental. Während die Gruppe ein ausgiebiges Mittagessen vorzieht, machen wir uns zu Viert selbständig und werden königlich belohnt:

Allein schon die grandiose Lage des Tempels in einer flachen Talmulde vor dem Hintergrund einer steilen Felswand ist einzigartig. Die Anlage selbst verblüfft durch ihre Klarheit, Schnörkellosigkeit und „Modernität“, die aus dem letzten Jahrhundert zu stammen scheint.

Über mehrere Rampen und Höfe steigen wir hinauf zur Geburts- und Punthalle, sowie zur Anubiskapelle. Ein wunderschön bemalter Frauenkopf, bunte Reliefs und Säulen, sowie Ausblicke auf das atemberaubende Panorama bleiben in Erinnerung Ein Blick in die weite Ebene zeigt, wie das fruchtbare Niltal übergangslos in der Wüste endet.

Am späten Nachmittag besuchen wir noch einige Gräber der höheren Beamten und Arbeiter aus dem Hofstaat der Könige, die unser Wissen über den früheren Reichtum und Totenkult ergänzen. Der Aufstieg zu diesen Gräbern führt durch die schon erwähnten Bergdörfer und erlaubt kurze Einblicke in die Lebensweise der Bewohner. Leider herrscht keine heile Welt, vielmehr werden wir von Kindern und Souvenierverkäufern massiv angegangen – erneut der Preis des Massentourismus, deren Teil wir sind.

Ich werde die ganze Zeit von einem hübschen Mädchen begleitet und feilsche mit ihr um den Preis eines selbstgebastelten Kamels. Sie verfolgt mich hartnäckig, verfügt über beachtliches schauspielerisches Talent, verjagt laut schimpfend ihre Mitkonkurrentinnen, trotzt den sie verscheuchenden Soldaten, „ Mister, Mister, kaufen, Geld für Schule“. Letztlich handle ich sie idiotischerweise auf 2 Pfund herunter, gebe ihr aber versehentlich 6 Pfund – eine gerechte Strafe für mich und Belohnung für ihre Hartnäckigkeit.

Wir verabschieden das Jahr bei einem festlichen Abendessen im Hotel, zusammen mit ca. 500 weiteren Gästen. Die meisten von uns kapitulieren allerdings vor der unerträglich lauten Musik und begrüssen das neue Jahr vom Bett oder Balkon der Zimmer aus, zumal um 5.00 Uhr schon wieder das Telefon zum Weckruf läutet, um den frühen Flug nach Sharm el Sheik nicht zu verpassen.

10./11./12.Tag, Entspannung am roten Meer

Katalogwidrig haben wir beschlossen, den Berg Moses und das Katharinenkloster nicht mehr zu besuchen, sondern uns im Feriendomizil in Sharm el Sheik von den anstrengenden Rundreisetagen zu erholen. Eine weise Entscheidung, wie sich herausstellte, da von unserer Gruppe niemand der bitteren Kälte in den Bergen trotzte und der berühmte Sonnenaufgang auf dem Berg Moses somit ohne unsere Gruppe stattfand.

Wir haben die 3 Tage Ruhe sehr genossen, das rote Meer lud mit 25 Grad zum ausgiebigen Schwimmen ein, die Hotelanlage genügte allen Ansprüchen, im nahen Basar wurden die letzten Souvenirs gekauft und im Liegestuhl die vielfältigen Eindrücke der Reise sortiert.

Dass am Tag vor unserer Abreise eine Chartermaschine 3 Minuten von unserem Hotel entfernt ins Meer stürzte und 148 Menschen das Leben kostete, war ein makabrer Schlusspunkt unter diese Reise. Der Unfall zeigt, wie zerbrechlich und von Zufällen abhängig menschliches Leben und Glück ist.

Carpe diem, geniessen wir die schönen Augenblicke des Lebens, wozu zweifellos diese Reise zählte.

Besonderer Dank gebührt zum Schluss unserem Reiseleiter Youssry Zaki, der uns äusserst fachkundig begleitete und uns nicht nur tiefe Einblicke in die Vergangenheit seines Landes gewährte, sondern uns auch mit dem modernen Ägypten, seinen Plänen und Problemen, vertraut machte. Seine ruhige, freundliche und hilfsbereite Art, mit der er uns an langer Leine führte, war ein wichtiger Garant für den Erfolg der Reise.

Danke und Auf Wiedersehen, Youssry.

 

Januar 2004 Klaus Weidner

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Ägypten - vom Land der Pyramiden bis in den Sinai
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Ägypten - vom Land der Pyramiden bis in den Sinai
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Ein Reisebericht über eine 13 tägige Gruppenreise kreuz und quer durch Ägypten mit Eindrücke und Gedanken
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